Text "Wo ist Peter Behrens? (Gefühlte Gesten)" (Tim Schomacker)

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Autor Tim Schomacker
Texttitel Wo ist Peter Behrens?
Untertitel Gefühlte Gesten
Sprache Deutsch
Textform
Veröffentlichung 2009.02.21 Syker Kreiszeitung

Text

Wo ist Peter Behrens? (Gefühlte Gesten)

Carsten Werner und Denis Fischer inszenieren Stephan Remmler-Songs. Oben aufm Berg hatte in der Bremer Schwankhalle Premiere.

Bremen. Im Pop geht es um Gesten. Immer schon: Wie sieht das aus, wenn jemand auf der Bühne "fühlt", in einem Video, in einem Song. Das Verdienst der NDW-Band "Trio" ist es, das Repertoire an Gesten und Gefühlen gewissermassen skelettiert zu haben - und trotzdem Erfolg damit. Da da da. In dieser Konsequenz gelang das sonst vielleicht nur dem britischen Duo "The KLF". Aber das ist eine andere Geschichte. An diesem Abend, der nach einer gut zwanzig Jahre alten Stephan Remmler-Single Oben aufm Berg heisst, geht es um Gesten und Gefühle, wie sie in der Solokarriere des vormaligen Triosängers durchbuchstabiert wurden.

Es ist auch eine 90-minütige Zeitreise, die Regisseur Carsten Werner und Sänger/Schauspieler Denis Fischer nebst Ensemble auf grünem Bühnengrund unternehmen: späte 80er bis Mitte 90er, circa. Ein paar Handvoll Trink-, Liebes- und sonstwie Alltagsbeobachtungslieder Remmlers werden dafür in einen lockeren dramaturgischen Bogen gespannt. "Wir haben uns nicht auf Gefühle festgelegt, sondern sie distanziert vorgeführt", sagte Stephan Remmler vor gut zwei Jahren in einem Interview. In der Theaterübersetzung sieht das etwa so aus: Gleich drei "Stephans" stehen mit Mikroständern auf der Bühne. Zusammen - oder gegen einander? - singen sie: "Das Leben liebt den, der viel liebt". Schon im Titel wird hier so viel geliebt, dass es gar nicht mehr wahr ist. Fischer trägt eine abgründige Vo-ku-hila-Perücke zu Grabe, Günter Grollitsch sucht nach Schmelz, wo im Song keiner ist - und Ralf Stahn (der als Multiinstrumentalist immer wieder singend und spielend aus der Begleitcombo dieses Liederabends heraustritt) testet seinen Mikroständer. Er wirft ihn zur Seite, ganz kurz nur. Wie in Vorbereitung einer Pose - die in der Vorbereitung aber notwendig leer bleibt. Dann zerrt er einen gefühlten Kilometer Kabel zu sich heran.

Aus derlei Details und Pointen ist Oben aufm Berg gebaut. Die Entscheidung, das Ensemble aus Musikern, Spielern und Tänzer/innen (im Ganzen sind es dann sechs "Stephans"!) nicht die Songs nachspielen zu lassen, sondern die emotionale Mechanik, die dahinter steht, erweist sich als äusserst klug. Folgerichtig durchbricht der Einsatz der Nebelmaschine mehr den Flow des dreifach kopierten Stücks, als dass er es atmosphärisch unterstützen würde. Das bereitet Vergnügen. Auch wenn nicht ganz klar ist, was man denn hier mehr "lernt" - über Pop und Liebe und Schmerz und Alkohol als in den oft so karg, bisweilen kühl und überkalkulierten Songs von Stephan Remmler selbst. Zumal wenn alle spielen und singen und sich in gelegentlich polyrhythmischer Choreographie bewegen, es mitunter ganz schön wuselig wird. Zwischen Kleinwagen (echt!), Alpenhütte (Miniatur!), Theke (auf's Klavier geschraubt!) und Leinwand (abstraktes Alpenszenario).

So lässt Oben aufm Berg Gesamtzusammenhänge manches Mal aus dem Blick geraten, entschädigt aber durch eine Menge Momente. Verena Fleisser leitet mit Dirndl und Trillerpfeife bewehrt Janine Classen an. Die kann bei so viel Spagat nicht folgen, trollt sich und murmelt schlicht: "Egal". Pause. Fischer croont: "Dann trink ich, wenn ich traurig bin, und denk dabei an..." Nichts. Grollitsch sitzt - "einer ist immer der Loser" - tragikomisch in der offenen Kleinwagenheckklappe und pingelt plötzlich den Refrain-Takt auf einen Kaffeebecher. Der vielkehlige Neustädter Shantychor untermalt eine Erzählung vom Opa, der dem Tod mit wortkarger Opa-Gelassenheit entgegenschlurfte. Diese Momente ergeben nicht ein sondern viele "Ganzes". Legt man die ganzen Kopien neben einander, entsteht dankenswerter Weise kein Lebensbild Stephan Remmlers, kein Starschnitt. Sondern eine Blaupause für Popmusik. Das sich selbst permanent kopierende Original lächelt aus der TV-Reklame eines Energiedienstleisters dazu.

Versionen

Datum Autor Format Titel Verlag Anmerkungen
2009.02.21 Tim Schomacker Artikel Wo ist Peter Behrens?
Gefühlte Gesten
DE: Syker Kreiszeitung