Text "Gibt es uns?" (Franz Hohler)

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Autor Franz Hohler
Texttitel Gibt es uns?
Sprache deu
Textform
Veröffentlichung 1985.07.18

Gibt es uns?

Zum dritten Mal innert kurzer Zeit werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich eigentlich nicht existiere.

Satire in der Schweiz, heisst es, haha, das gibt es nicht, das können wir gar nicht, dazu sind wir zu bieder und zu verstockt. Satire können nur die Deutschen, denn dort gibt es dafür eine Tradition, und die fehlt leider Gottes bei uns, und wo der Boden der Tradition fehlt, da wächst auch nichts.

Wenn das Roman Brodmann schreibt (Weltwoche vom 20. Juni 1985), für den mit Tschudi und Wollenberger der Gipfel helvetischer Satire erreicht war, dann begreife ich das noch. Wenn unser Nonkonformistengrossvater seinen abwesenden Blick vom nahen Deutschland in die ferne Schweiz richtet, dann sieht er nur das, was er sehen will, und das ist das, was er schon immer gesehen hat. Sein Artikel über den Nebelspalter, der mich im übrigen amüsiert hat, ist so aufgebaut, dass es in der Schweiz eben keine Satire geben kann, und deshalb gibt es sie auch nicht, ausser zur Zeit, wo er selbst noch dabei war. Meinetwegen. Ehret das Alter.

Wenn Hansruedi Fritschi bei der Vorschau auf Gerhard Polt (Züri-Tip vom 5. Juli 1985) ebenfalls schreibt, ja, die Deutschen, das sind halt noch die richtigen Satiriker, ja, der Hildebrandt, ja, der Polt, und über den hiesigen Kollegen nur das Wort "harmlos" tröpfeln lässt, dann meinetwegen. Vergleichen können heisst Kenner sein.

Wenn aber Kaspar Wespi in seiner Scheibenwischer-Besprechung (Tages-Anzeiger vom 10. Juli 1985) auch noch ins selbe Horn stösst und seinen einheimischen Blick in die einheimische Runde schweifen lässt und einfach nichts findet, das dem deutschen Hil-de-brandt gleicht, dann beginne ich mich zu ärgern.

Dieses dauernde Massnehmen an deutschen Vorbildern wie an Sportlern, die bessere Zeiten laufen, das finde ich bieder und provinziell. Auf das Massnehmen folgt auch gleich das Vorschreiben: "Satire muss Namen nennen", lese ich da. Ich habe schon oft gehört, was Satire muss, und ich hasse diese Sätze. Ich bin ein Muss-feind, und ich bin für das Selbstbestimmungsrecht, auch das der Satiriker. Wenn etwas die Satire kennzeichnet, dann ist es die Freiheit, und nicht nur die Freiheit der Gedanken, sondern auch die Freiheit der Mittel und der Form.

Ich habe Hildebrandt gern, ich schaue mir jeden Scheibenwischer an, den ich kann, ich würde ihn vermissen, wenn er nicht mehr käme, aber ich denke nicht daran, mir diese Form als die einzig mögliche Satire vorhalten zu lassen. Was mich an dieser Form freut, ist wohl etwa das, was Kaspar Wespi daran freut, soweit sind wir uns einig. Ich kann aber auch sagen, was mich von dieser Form trennt. Hildebrandt macht ein Politiker-Kabarett, bei dem sich der ähnlich gesinnte Zuschauer auf die Schenkel klopfen kann und eigentlich sogar der nicht ähnlich gesinnte. Es werden ja Namen genannt, und wo Namen genannt werden, wird man selbst nicht genannt, da ist man selbst nicht gemeint, da kann man mit dem Satz hinausgehen: "Denen hat er's wieder einmal gegeben!" Wenn man draussen ist, ist man fein raus.

Das ist der Grund, warum ich mich nie wirklich auf die Namenssatire eingelassen habe. Mich interessiert die Zustandssatire. Wie sind die Zustände? Wie kommt es zu den Zuständen? Und der Zuschauer ist, genau wie ich selbst, ein teil der Zustände, pathetischer kann ich auch sagen, der Mensch ist ein teil der Zustände, und er ist eben der Teil, der mich am meisten interessiert, der teil, den ich am wenigsten auslassen möchte. Oder wie Hanns Dieter Hüsch sagte (auch ein Deutscher, ha!)

"Dieses Programm handelt von Dir. Nur Dein Name wurde geändert."

Zur Erinnerung: Auch Gerhard Polt nannte in seiner Vorstellung im Bernhard-Theater keine Namen, er zeigte nur Menschen, und gerade das war das Unheimliche. Meine Fernsehsendungen erregten nicht dann am meisten Anstoss, wenn Namen genannt wurden. Die Denkpause über Kaiseraugst (keine Namensnennung) löste vier Konzessionsverletzungsbeschwerden und eine Preisverweigerung aus, diejenige über die Dienstverweigerung (keine Namensnennung) wurde vom Fernsehen abgesetzt, bevor sie gesendet war.

Die Zustände in den schweizerischen Medien, und das wäre durchaus ein Thema, sind nicht satirefreundlich. Aber wer bloss den Fernsehknopf drücken will, um zu einer Portion Satire zu kommen, der ist mir zu harmlos. Die Satire kommt nicht einfach zu einem nach Hause hierzulande, mit der Konzessionsgebühr oder mit dem Nebelspalter-Abonnement, sondern man muss ihr nachgehen wie die Nomaden dem Gras. Man muss sie dort suchen, wo sie jeweils gerade wächst.

Wer Meienberg lesen will, der soll eben statt des Tages-Anzeiger-Magazins die Augen aufmachen - irgendwo schreibt er immer, und vielleicht wäre das sogar ein Grund, wieder einmal die Wochen-Zeitung anzuschauen.

Wer satirisches Kabarett sehen will, kann ja auch einmal den Fuss ins Theater setzen, und wenn ihm der Keiser oder der Emil nicht passt, kann er es ja mit den andern versuchen, mit Rittmeyer, den Birkenmaiers, mit Baumgartner / Greder, mit Jürg Jegge oder schlimmstenfalls mit mir.

Wer gerne Namen genannt hat, kann ja wieder einmal eine "Unwahre Geschichte" von Hans Gmür in der Schweizer Illustrierten lesen, oder er soll sich freuen, dass es jeden Tag eine Karikatur von Nico im Tages-Anzeiger gibt (ich nenne ihn hier stellvertretend für alle zeichnenden Satiriker, von denen wir eine ganze Menge haben). Er kann sich auch eine Platte kaufen, z. B. Linard Bardills Spottgesang über Otto Largiadèr, oder wenn er eher die Richtung von Polt mag, die Reinigungsplatte von Joachim Rittmeyer.

Ich habe jetzt nicht alle Namen genannt, aber schon die genannten scheinen mir ein Hinweis auf eine gewisse Existenz, und wer sich vernachlässigt fühlt, soll sich selber melden, vielleicht würde auch dadurch sichtbar, was die gestrenge Troika Brodmann / Fritschi / Wespi nicht sehen will, nämlich dass es uns gibt.

Versionen

Datum Autor Format Titel Verlag Anmerkungen
1985.07.18 Franz Hohler Artikel Gibt es uns? CH: Tages-Anzeiger