Paris/15. Oktober 2009

Aus Mikiwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Paris, Auteuil
Auteuil ist eines der drei ehemaligen Dörfer (neben Passy und Chaillot), aus denen das teure 16. Arrondissement zusammengewachsen ist. "Paris ist die Hauptstadt von Frankreich und das 16. Arrondissement die Hauptstadt von Paris", sagte einst Victor Hugo. Schon früh war dieser ausserhalb der Stadt liegende Flecken Rückzugsgebiet der besseren Kreise. Erfolgreiche Künstler hatten hier ihre Landhäuser, Literaten schätzten die Synthese aus Gartenlandschaft, Dorf und mondänen Salons. Balzac indessen gefiel vor allem, dass er hier draussen vor seinen Pariser Gläubigern einigermassen sicher war (sein einstiges Haus in der Rue Raynouard ist inzwischen ein Museum).
Die Reise beginnt wie in Günter Liehrs Buch Anders reisen: Paris (1982) an der Metro-Station "Eglise d'Auteuil" (Linie 10). Die dazu passende Kirche heisst "Notre Dame d'Auteuil" und wurde 1892 fertiggestellt.

Gleich schräg gegenüber findet sich ein weiteres kirchliches Gebäude.

Da ich keine Lust hatte, erneut den ganzen Tag meinen Rollkoffer dabeizuhaben, machte ich mich erstmal auf die Suche nach einem Hotel. Dazu stiess ich durch die Avenue Théophile Gautier nach Nordosten vor (nach dem ersten Knick in der Ferne immer die Spitze des Eiffelturms im Blick).

Beim Herumtippeln entdeckte ich eine Ansammlung von Velos, die offenbar gemietet werden können. Diese Leihvelos erinnerten mich an das Projekt "Basel rollt" Ende der 1990er Jahre, wo einige hundert Gratis-Velos und -Trottinette zur allseitigen Benutzung in der Stadt verteilt wurden. Nach kürzester Zeit waren alle gestohlen oder kaputtgemacht worden.

Gleich um die Ecke in der Mitte der Rue François Millet fand ich diese Kombination aus Hauswänden.
Eine Ecke weiter an der Rue La Fontaine steht dieses altmodisch wirkende Haus, in dem sich offenbar eine Buchhandlung bzw. ein Geschenkeladen befindet.

Überhaupt fiel mir auf, dass Paris voller Buchläden ist - voller Buchhandlungen, Bäckereien, Metzgereien und sonstiger kleiner Läden. Leider auch voller Autos. Uhren dagegen sind selten zu sehen.

Ein Blick durch die Rue La Fontaine nach Südwesten.
Schnell zog ich ins Hotel Ribera ein (89 Euro die Nacht) und machte auf der Rue La Fontaine vor dem Haus ein weiteres Bild mit Blickrichtung Südosten. Von links mündet die Rue du Père Brottier ein. In Blickrichtung geradeaus beginnt die Avenue Boudon, in Blickrichtung rechts führt die Rue La Fontaine weiter, und ganz rechts beginnt die Rue Ribera (am anderen Ende stösst man direkt auf die Metro-Station "Jasmin").
An der Kreuzung der Rue La Fontaine mit der Rue George Sand ist dieses Haus zu sehen - irgendwie scheint es im Weg zu stehen. Links darum herum führt darum die Rue des Perchamps. Rechts herum die Rue La Fontaine.
An der Kreuzung der Rue La Fontaine mit der Rue Pierre Guérin öffnet sich eine grössere Kreuzung. Die entgegenkommenden Autos kommen aus der Roue Pussin, die Rue La Fontaine führt zwischen dem Geschäft von "Alain Afflelou" und dem "Café Poussin" weiter.

Ganz erstaunlich finde ich übrigens, wie schnell sich das Stadtbild offenbar ändert. Das unter Google Streetview zu sehende und sicher nicht besonders alte Bild (siehe rechts) dieser Kreuzung zeigt nicht nur andere Autos, sondern rechts anstatt der Brothandlung eine Metzgerei (Boucherie), in der Mitte hat "Alain Afflelou" ein deutlich weniger auffälliges Firmenschild und rechts hat das "Café Poussin" noch dunkelbraune anstatt rote Sonnenschutzdächer.

Eine reichlich schräge Hütte schien mir dieses Haus an der 122. Ideal geeignet wohl für Schrägfüssler. Edel natürlich die Strassenlampe im Jugendstil vor dem Haus.
Ein Blick in die Rue Heinrich Heine an der Kreuzung von Avenue Mozart und Rue de la Source. Letztere ist übrigens insofern interessant, als sie nicht durchgehend befahrbar ist: Von dieser Kreuzung kann man entweder nach links oder nach rechts in sie hineinfahren - und in beide Richtungen ist sie eine Einbahnstrasse.
Auf der Avenue de Mozart ist mit Blickrichtung Süden dieses Haus zu sehen. Die kurze Strasse links führt hinunter zur Rue de la Source, welche an der Rückseite dieses Hauses mit dreieckigem Grundriss entlangführt.

Auf dem Boden ist da ein unbestimmtes Federgemisch auszumachen. Was das genau war, wird man wohl so schnell nicht mehr herausfinden. Eines war's aber mit Sicherheit: zu langsam.

Gleich wieder um die Ecke und schon kommt man aus der Rue de la Source wieder auf die Avenue Mozart
An der Rue Poussin gelange ich an den bewachten Eingang eines "Schöner Wohnen"-Bezirks, wo nur Bewohner reindürfen. Schnell wende ich mich ab und erblicke auf der anderen Strassenseite am Beginn der Rue Donizetti dieses Haus. Irgendwie sieht das Haus klasse aus mit seinen ganzen Balkongittern und Balkonen und wie diese ganzen architektonischen Spielereien halt heissen. Ein wunderbares Durcheinander. Und von oben rechts nähert sich ein ausserdem auch noch ein UFO.
Immer noch auf der Rue Poussin - ein Blick zurück in die Rue Géricault. "Look Lemon" ist übrigens ein Friseur.
An der Ecke von Rue Poussin und Boulevard de Montmorency (der von rechts kommt) gelangt man an den grossen Place de la Porte d'Auteuil. Links vom Gebäude in der Bildmitte führt der Boulevard de Montmorency weiter, rechts davon beginnt der baumbestandene Boulevard Exelmans.

Tritt man etwas weiter auf den Platz hinaus, so blickt man direkt auf die Porte d'Auteuil, bei der es sich hauptsächlich um eine grosse Auffahrt auf die Ringautobahn ("Boulevard périphérique") handelt. Auf automatischen Tafeln wird angezeigt, wie lange voraussichtlich die Fahrt zu bestimmten Orten dauert - zur Porte d'Orléans im Süden etwa gerade 17 Minuten.

Gleich rechts führt eine Treppe vom Boulevard de Montmorency nach oben: Von da oben zu sehen ist das alte Bahnhofsgebäude, das nun langsam zerfällt. Eigentlich hatte ich gehofft, hier die im Buch Anders reisen beschriebene innerstädtische Eisenbahnlinie besteigen zu können.

Anstatt eines gemütlichen Vorortzügleins machte sich auf dem Gelände schweres Gerät zu schaffen und ist offenbar dabei, die letzten Spuren der einstigen Bahnlinie zu beseitigen.

Die sieben Kilometer lange Strecke von Auteuil zum Bahnhof St. Lazare war längere Zeit der letzte noch funktionierende Teil der einstigen Ringbahn ("Petite Ceinture"), die seit Mitte des 19. Jahrhunderts parallel zu den Aussenboulevards entlang der Befestigungen rund um Paris herum führte, das erste Pariser Massenverkehrsmittel. 1934 wurde der Verkehr dann eingestellt: Metro und Bahn hatten der Bahn den Rang abgelaufen, sie war unrentabel geworden und wurde durch die Autobuslinie PC ersetzt. Trotz der Stilllegung gibt es die Strecke noch, wenn auch die unbenutzten Schienen rosten und in den Tunneln Katzen und wer weiss was noch für Tiere wohnen. Einige der 29 Bahnhöfe wurden abgerissen, andere in Supermärkte umgebaut, wieder andere verfallen unbemerkt. Bei manchen soll noch der letzte Fahrplan vom 15. Mai 1934 angeschlagen sein. Die Bahnsteige sind von Mooskulturen und Gräsern bedeckt. Einige Anlieger nutzen das Bahngelände zur Anlage von Kleingärten, und stellenweise finden sich Hühner- und Kaninchenställe.

Nur das kleine Stück also, das in Auteuil begann, war noch bis 1996 in Betrieb - wohl wegen der naheliegenden Pferderennbahn "Hippodrome d'Auteuil", deren periodischer Besucherandrang der Bahn noch eine gewisse Funktion verlieh. Die Züge waren jedoch bereits 1982 nur noch sehr spärlich besetzt. Sie hatten "zwei betagte, schmutzig-grüne Waggons, deren Inneres den Charme des Vor-Plastikzeitalters" ausstrahlte. Die Sitze waren aus Holz, und es gab richtige Gepäcknetze und Lederriemen zum Öffnen der Fenster. Nach einem kurzen Bimmeln fuhr der Zug los. Sehr gemächlich ging es danach an den Rückfronten der stattlichen Häuser von Auteuil und Passy vorbei. Am Bahnhof "Foch" kamen früher die Staatsbesuche, die Kaiser, Könige und Präsidenten an und begaben sich von dort mit der Kutsche über die benachbarten Prachtstrassen zum Elysée-Palast. 1982 beherbergte das Bahnhöfchen noch ein von den Studenten der gegenüberliegenden Universität Paris IX besuchtes Café. Endstation der kuriosen Eisenbahn war "Pont Cardinet" (früher "Batignolles).

Leider wurde diese kleine Bahnlinie also bereits am 5. Juli 1996 endgültig geschlossen. Zu meinem eigenen Trost habe ich im Internet nach einigen Weblinks und Bildern dieser Bahn gesucht.

16ème arrondissement 16ème arrondissement 16ème arrondissement 17ème arrondissement 17ème arrondissement 17ème arrondissement Datei:paris petiteceinture007.jpg Datei:paris petiteceinture008.jpg

Mitten auf dem Platz befindet sich ein Kiosk sowie der Eingang zur Metro-Station "Porte d'Auteuil", hier noch ganz im ursprünglichen Jugendstil.

Da nun also nichts ist mit der überirdischen Bahnfahrt Richtung Norden, so begebe ich mich erstmal in den Untergrund und besteige dort die Metro Linie 10.

Boulogne-Billancourt
Die Metro fährt hier aus irgendwelchen Gründen nur in eine Richtung, sodass ich also erstmal noch zwei Stationen weiter Richtung Westen zur Endstation "Boulogne / Pont de St. Cloud" fahre. Ein kurzer Blick nach oben reicht um zu erkennen, dass ich hier nichts besonderes verloren habe. Tabak und Kaffee gibt's auch anderswo.

Das Bild zeigt am Rond-Point Rhin et Danube. Nach links führen die Rue du Port und die Avenue du Maréchal de Lattre de Tassigny, nach rechts die Rue des Abondances.

Mit der Metro Linie 10 fahre ich nun erstmal Richtung "Gare d'Austerlitz" bis zur Station "Duroc", dort steige ich um in die Linie 13 und fahre Richtung "Asnières-Gennevilliers / Les Courtilles" bis zur Station "Brochant".

Beim Umsteigen fällt mir nebenstehendes Plakat für die Ausstellung "Arts de l'Islam" im Institut du Monde Arabe auf. Da beschliesse ich sogleich, Muslim zu werden. Denn leider ist im übrigen die Plakatierung an den Metro-Stationen üblicherweise nicht halb so geschmackvoll - nein, riesige Plakate, die von oben auf einen herunterstarren und den Leuten irgendeinen Mist schmackhaft machen sollen. Und nicht nur ein oder zwei Plakate - gleich drei oder fünf, und an allen Stationen, in ganz Paris. Würg, Kotz, Brech.

Beim Aussteigen sticht mir in der Avenue de Clichy gegenüber der Einmündung der Rue Guy Môquet dieser superbunte Roller ins Auge - bedeckt mit 154 Blumen und 5 rosaroten Herzen, und auch sonst nur in den geschmackvollsten Farben bemalt.
An der Ecke der Avenue Clichy und Rue Rue Puchet biege ich nach links in die Rue Cardinet ab.
Blick durch die Rue Cardinet in Richtung Südwesten.
Blick von der Rue Cardinet in die Rue Nollet.

Mitten im Stadtgebiet plötzlich die grosse Ödnis: Zwar wurde ein Teil des ehemaligen Güterbahnhofs bereits 2007 zum "Parc Clichy Batignolles / Martin Luther King" umgewandelt - ist aber ein ziemlich hässliches Teil geworden. Wie ein Schild (rechts zu sehen) deutlich macht, dürfen in diesem Park weder Hunde ausgeführt oder Vögel gefüttert werden, auch ist es verboten zu schwimmen und rumzusitzen oder gar (womöglich alkoholische) Getränke zu konsumieren.

Der grössere Teil des ehemaligen Güterbahnhofs harrt weiterhin der Dinge, die da kommen sollen.

Ein Blick von der Pont Cardinet Richtung Süden zeigt, dass immerhin elf Gleise nach Paris hinein führen, und diese werden auch reichlich befahren.

Ein Blick nach Norden zeigt, dass da ja noch mehr Gleise sind. Teufel auch.

Der Bahnhof "Pont Cardinet" (früher Batignolles) war früher die eine Endstation der Ligne d'Auteuil, mit der ich eben nicht fahren konnte, da es sie seit 1996 nicht mehr gibt. Heute gehört der Bahnhof zum Netz der RER (Réseau Express Régional; entspricht etwa unserer S-Bahn) und ist eine der Stationen der Linie zwischen Paris Saint-Lazare und Cergy le Haut.
Gemäss dem Buch Anders reisen liegt links vom Bahnhof "ein kleiner Park mit Ententümpel und Karussell" - gemeint ist der Square des Batignolles. Tatsächlich gibt es da nach all den Jahren immer noch ein Karussell - allerdings ist es gerade nicht in Betrieb. Ausserdem gibt es auch eine ziemlich nach Gefängnis aussehende Kinderschaukelapparatur, denn es kostet was, bevor man ins Gitter reindarf. Aber heute ist eh keiner da.
Nicht der beste aller Pärke, aber immerhin. Bäume, Wege, alles da.
Und natürlich ist auch der Ententümpel da, einschliesslich Enten. Sogar eine weisse Ente haben die hier, sowas hab ich ja auch noch nie gesehen. Aber vielleicht ist es gar keine Ente, sondern was anderes. Oder eine, die von Jesus vergewaltigt wurde.

Diese Entenschar bringt mich schwer ins Grübeln, Wusste ich doch schon seit Jahren um die geheimen Beziehungen zwischen Jesus und seinen Enten. Neuerdings treibt sich sogar ein falscher Prophet mit Namen Jesus Duck herum, der behauptet, der Sohn des Gottes der Tiere zu sein.

Verlässt man den Square des Batignolles auf die Rue Cardinet, so liegt gleich rechts die Haltestelle "Batignolles / Gare des Marchandises" von Bus 31, der in einem weiten Bogen an der Rückseite des Montmartre vorbeifährt, durch die belebten Geschäftsstrassen Rue Guy Môquet und Rue Ordener.
Am Square de Marcadet steige ich aus und blicke zurück in die Rue Ordener.
Hier steht das 1888-1892 gebaute Rathaus des 18. Arrondissements und an dem Gebäude gibt es sogar eine Uhr. Logisch, dass die nicht funktioniert.
Gleich gegenüber des Rathauses steht die 1863 fertiggestellte Kirche "Notre-Dame de Clignancourt", die während der Pariser Kommune 1870 geplündert wurde,
Alberto Garelli auf einer Rennmaschine von 1919
Links ums Rathaus herum geht's nun die Rue du Mont-Cenis den Montmartre hoch. Das Bergmassiv Mont Cenis befindet sich übrigens in den Alpen an der italienischen Grenze und niemand weiss, was es hier am Montmartre verloren hat.

Am 10. Januar 1914 bezwang Alberto Garelli mit seinem ersten selbst gebauten Motorrad und einem 350 cm³-Motor den 1'925 Meter hohen, tief verschneiten Pass von Mont Cenis bei klirrender Kälte, ein Unternehmen, das zur damaligen Zeit als unmöglich galt.

An der Ecke Rue du Mont Cenis und Rue Duc stellt sich die Frage: Was denn für ein Duc? Etwa gar der Trou Duc?

Jedenfalls findet sich hier an der Rue du Mont Cenis 70 auch der 1982 gegründete Plattenladen "Exodisc", der tatsächlich noch Vinylplatten im Angebot hat. Der Laden gehört Dominique und Larry, über die Michel Brillé im März 2009 einen kleinen Film machte.

An der Kreuzung von Rue du Mont Cenis und Rue Mercadet ist dieses merkwürdige Häuschen zu sehen. Darin befindet sich das "Château de Lys", ein sogenanntes "club-restaurant libertin" (also ein Swinger-Club), wo Muriel und Patrice nur gepflegte Damen und Herrschaften einlassen. Der Eintritt für Damen kostet 20 Euro, Paare zahlen 40 und alleinstehende Herren 100.

Schon Günter Liehr bemerkte in seinem Buch Anders reisen: Paris (1982): "Der Montmartre soll übrigens sehr unstabil sein. Früher wurde hier in unterirdischen Steinbrüchen Gips gewonnen, daher ist er von Höhlen und Gängen durchlöchert. In denen hausten einstmals Verbrecher, und sie boten auch verfolgten Revolutionären, unter ihnen Jean Paul Marat, zeitweilig Unterschlupf. Sie wurden gerne für schwarze Messen und anderen finsteren Hokuspokus benutzt, auch wurden in ihnen Reste von Dinosauriern entdeckt. Noch heute soll es zuweilen da unten zu seltsamen Zusammenkünften kommen..."

An der Kreuzung der Rue du Mont Cenis mit der Rue Francoeur blickt man nach rechts und sieht das "Café Francoeur" (vorher "Froggy's"). Rechts geht's die Rue Francoeur hinunter, auf der linken Seite beginnt die Rue Caulaincourt.
Weiter hoch geht's die Rue du Mont Cenis über eine erste Treppe, dann wieder ein Stück ebenen Weges, an dessen Ende es die hier gezeigte zweite Treppe hochgeht. Komischer Berg, mag man da denken, wo's nur zwei Treppen hochgeht... Darum gibt's etwas weiter nach oben noch eine dritte Treppe.
Adieu, schöner Montmartre! Bis hier geht also deine "untouristische Seite".
Blick durch die Rue du Mont Cenis an der Ecke zur Rue Cortot Richtung Süden. Die ersten Touristenfallen tauchen auf: rechts die "Galerie Fred Bretonnière" mit ihren fürchterlichen Kitschbildern, links "La Boutique" (der Name sagt schon alles), wiederum rechts die "Galerie La Vigne", das Restaurant "Tartempion", die "Galerie Lansoght", das Restaurant "La Deli's", die "Galerie Roussard", "Montmartre Village" (Suvenirs), das Café "Croq'Minute" (Coca Cola), nochmals ein Ableger der "Galerie Roussard", das Café "Le Ceni's", das Restaurant "Les Coulisses"; linkerhand das Café "Au Petit Creux", "L'Atelier d'Art", der T-Shirt-Laden "Aux Meuniers d'Antan", das Café "Comestibles"... und danach fängt der Touristenschmerz erst richtig an! Ständig muss man Angst haben, nach links oder nach rechts mit einem ekelhaften "Schlup" in eine dieser feuchten Höhlen hineingezogen zu werden, wo einem manikürte Fingernägel das leere Portemonnaie zerfetzen und einem die Tasche mit den unbeschreiblichsten "Souvenirs" bis zum Platzen füllen... Pfui Teufel, also lassen wir das.
Blick aus der Rue du Mont Cenis nach links in die Rue du Chevalier de la Barre. Jean-François Lefèbvre, der Ritter de la Barre (1745-1766) war nach dem Ruin und Tod seines Vaters als 16-jähriger von einer Tante in Abbeville, einer Äbtissin, aufgenommen worden. Hier geriet er bald in den Ruf, wenig fromm zu sein und wurde 1765 verdächtigt, an der Schändung eines hölzernen Kruzifixes teilgenommen zu haben. Bereits im Jahr zuvor hatte er angesichts der 30 Schritt entfernten Fronleichnamprozession seinen Hut nicht abgenommen und ausserdem irgendwann zwei schlüpfrige Lieder gesungen. Am 28. Februar 1766 wurde der 20-jährige deshalb wegen Blasphemie zum Abschneiden der Zunge, zum Abschlagen der rechten Hand, zur Folter, zur Enthauptung (auf die er - statt Erhängen oder Anderem - als Adeliger Anrecht hatte) und anschliessender Verbrennung verurteilt. Dieses unglaubliche Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof in Paris bestätigt und am 1. Juli 1766 vollstreckt. Der bei de la Barre gefundene Dictionnaire philosophique portatif von Voltaire wurde dabei auf dem Scheiterhaufen mit verbrannt. Das Grausen packt mich - und da hinten steht auch schon die Sacré Coeur, wo die ganzen Kuttenbrüder zuhause sind.

Die angebotenen T-Shirts (Paris, Paris, Paris) will ich auch nicht tragen, bin ja weder blonde noch brune und für Glatzköpfe gibt's keins. Immerhin finde ich hier eine neue Deutung von FBI: "Fort Beau intelligent", dabei dachte ich immer, das hiesse "Female Body Inspector"... aber das T-Shirt wird wohl ohnehin eher von arbeitslosen Inspektoren getragen...

Die Basilika Sacré Cœur (auch bekannt als "Herz Jesu-Basilika") ist die im "Zuckerbäckerstil" erbaute römisch-katholische Wallfahrtskirche auf dem Hügel von Montmartre. Sie wurde zwischen 19875 und 1914 erbaut und sollte einerseits dem Gedenken an die französischen Opfer des Deutsch-Französischen Krieges 1870-1871, andererseits aber auch der "Abbüssung der Verbrechen der Kommunarden" dienen. In besonderer Weise soll dies durch die sogenannte "Herz Jesu-Verehrung" geschehen, wobei das durchbohrte Herz des Gekreuzigten als Quelle der Sakramente und der Kirche überhaupt gilt. Als Belege für diese Sichtweise gelten die Bibeltexte Johannes 7,37-38 und 19,34 - von einem durchbohrten Herzen ist da allerdings in keiner Weise die Rede, bloss von der mit einem Speer geöffneten "Seite".
Egal warum man und von welcher Seite man heraufgekommen ist, der Blick über die Dächer von Paris kann nirgends so kostenlos wie von hier genossen werden. Einmal mehr liess ich mich hier zur Erstellung eines Panoramas (rechts) verführen

Erstaunlich ist besonders, dass (zumindest auf den Fotos) der Eiffelturm trotz seiner Höhe von 300 Metern nicht zu erkennen ist - er müsste rechts vom Invalidendom zu sehen sein. Ebensowenig ist der Tour Montparnasse mit seinen 210 Metern Höhe klar auszumachen, obwohl er doch das höchste Gebäude Frankreichs ist.

Wie üblich an solchen Orten hat ein Strassenmusiker die Gelegenheit ergriffen, ungefragt seine alten Kamellen abzufiedeln - natürlich elektrisch verstärkt, damit es auch die Tauben gut hören können. Als ich da war spielte er gerade "Here comes the sun" und "Blackbird" von den Beatles. Möge der Herr ihn auf seinen Wegen geleiten.
Ich steige dann die erste Treppe auf die Rue du Cardinal Dubois hinunter und verdünnisier mich nach links. Da hinten lassen einen die Geistlichen ausserdem in ihrem Häuschen gratis schiffen. Danach geht's die Rue Maurice Utrillo (von wegen Rue - eine lange Treppe ist das) hinunter auf die Rue Paul Albert.

Gleich unten an der Treppe an der Rue Paul Albert 8 befindet sich das Restaurant "L'été au Pente Douce" (dt. "Der Sommer am sanften Abhang") mit seinen knallbunten Stühlen und Tischen.

Auf dem Boulevard Barbès an der Kreuzung mit der Rue Myrha mit Blick nach Norden. Hier auf dem Boulevard Barbès wird es zunehmend unfranzösischer: türkische Reisebüros, nordafrikanische Garküchen und Kleiderläden. Irgendwo hier soll es gemäss Günter Liehr das Araber-Kino "Barbès-Palace" gegeben haben, wo zwei Actionfilme nacheinander füre ein Spottgeld liefen und sich die Unbehausten im Winter aufwärmen gingen.
An der Kreuzung des Boulevard Barbès mit dem Boulevard de Rochechouart direkt gegenüber der Metro-Station "Barbès Rochechouart" herrscht immer ein farbiges Gewühl, denn hier befindet sich der Mittelpunkt der schwarz- und nordafrikanischen Einkaufs- und Freizeitszene. Offenbar besteht die Hauptbeschäftigung darin, entweder Zigaretten oder geröstete Maiskolben zu verkaufen. Das oder einfach hängen.

Gleich auf der anderen Strassenseite am Boulevard Barbès befindet sich zudem das Billigst-Kaufhaus "Tati".

Die Metro-Station "Barbès Rochechouart" befindet sich ausnahmsweise mal nicht im Untergrund, sondern oben: Die Metro-Linie 2 wird in weiten Teilen als Hochbahn geführt.

Der Blick nach Westen fällt unter anderem auf das Kaufhaus "Tati".

Der Blick nach Osten zeigt die langgezogene Station - mit guten Augen lässt sich in der Ferne eine einfahrende Metro erkennen.

Paris, 19ème arrondissement
Die Metro-Station "Stalingrad" am Boulevard de la Villette, Ecke Rue de Kabylie.
Blick vom Boulevard de la Villette auf die rechte Seite der Avenue de Flandre (links).

Blick von der Ecke Boulevard de la Villette und Rue du Faubourg Saint Martin unter der Hochbahn hindurch auf die linke Seite der Avenue de Flandre (rechts).

Blickrichtung vom Place de la Bataille de Stalingrad aus (an der Ecke der Avenue Jean Jaurès) in den Boulevard de la Villette nach Süden. Auf dem Hochbahntrassee fährt gerade eine Metro vorbei, darunter sammeln sich im Schatten die Tauben.

Der Platz erinnert an die Schlacht von Stalingrad, welche zwischen August 1942 und Februar 1943 zwischen Deutschland und der Sowjetunion ausgetragen wurde und rund einer Million Menschen das Leben kostete. Sie kann als die Hauptschlacht und Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs angesehen werden und endete mit der Gefangennahme der 6. deutschen Armee.

Die "Rotonde de la Villette", eine noch kurz vor der Französischen Revolution zwischen 1784 und 1788 im Stil des Klassizismus errichtete Zolleinnahmestelle des Ancien régime. Das Gebäude soll in Zukunft für kulturelle Anlässe zur Verfügung stehen und auch ein Restaurant enthalten.

Die Blickrichtung ist von Südosten, also von der Avenue Jean-Jaurès her.

Blick von der "Rotonde de la Villette" Richtung Nordosten - hinter dem Springbrunnen liegt das "Bassin de la Villette" mit einer Länge von 800 und einer Breite von 70 Metern, das 1808 geflutet wurde. Die beiden Lagerhäuser hinter der Fussgängerpasserelle markieren das Ende des Bassins und den Übergang zum nach Nordosten führenden "Canal de l'Ourcq".
Die Verbindungsschleuse zwischen dem "Bassin de la Villette" und dem von Süden von der Seine her kommenden "Canal Saint-Martin".

Blickrichtung von der Ecke von Avenue Jean-Jaurès und Quai de la Loire in Richtung "Bassin de la Villette".

Im "Restaurant Djurdjura" an der Avenue de Flandre genehmige ich mir erstmal ein Mittagessen und ein Bier. Interessanterweise sind hier die Tische bemalt und die Preise zivil. Bei Google Map habe ich auch ein Bild der Aussenansicht des Restaurants gefunden (siehe rechts).
Die Avenue de Flandre heisst angeblich so, weil sie die alte Ausfallstrasse in Richtung Flandern war. Hier soll einst eine Römerstrasse Lutetia (Paris) mit Flandern verbunden haben.Eigentlich existiert nur noch die eine Strssenseite, die andere ist wegsaniert und durch zeitgenössische Bunkerarchitektur ersetzt worden.
Günter Liehrs fand den "Gesamteindruck dieser Strasse eher schäbig, aber hinter der Strassenfront liegen einige überraschende Hinterhöfe mit alten Betrieben und Handelskontoren, zum Beispiel in der Nummer 40", die hier zu sehen ist. "In einem prächtigen Hofgebäude präsentiert sich hier eine ehrwürdige Fabrik für Bierzapf-Vorrichtungen." Zumindest war das früher so - das Tor ist immer noch mit "Robinetterie" angeschrieben, und auch im Hinterhof ist der Schriftzug "Pompes à b(ière)" zu lesen. Inzwischen hat sich hier allerdings die Firma Unik festgesetzt, welche Büro- und Lagermöbel herstellt.

Um etwas bessere Sicht in den durch ein Gittertor abgesperrten Hinterhof zu erhalten, strecke ich meine Kamera durchs Gitter. Natürlich ausgerechnet in dem Augenblick, als eine junge Büroangestellte da reinwill, um ein paar Lagermöbel herzustellen.

Zwei Häuser weiter soll sich "winzig und nur schwer zugänglich - hinter einem öden Neubaucblock ein uralter Friedhof" verbergen, "auf dem die Pariser Juden vor der Revolution, als sie kein Aufenthaltsrecht besassen, heimlich ihre Toten beerdigten. Die wenigsten Anlieger wissen etwas davon." Ich wusste dank Buch zwar etwas davon, aber es interessierte mich wenig.

"Ein paar Schritte die Strasse hinauf und es trifft den arglosen Spaziergänger wie ein Faustschlag: Dort erhebt sich ein Gebäudekomplex, der zum monströsesten zählt, was in Paris an neuerer Architektur verbrochen worden ist."

Ich erblicke das Ungetüm bereits an der Ecke Avenue de Flandre und Rue de Rouen - eigentlich befindet es sich ja an der Kreuzung von Avenue de Flandre und Rue Riquet. Jedenfalls ist es nicht zu übersehen. Ich mache es also wie empfohlen: "Schnell weiter und rechts in die Rue de Crimée einbiegen."

Paris, 19ème arrondissement, Rue de Crimée
An der Ecke Avenue de Flandre und Rue de Crimée werfe ich aber doch noch rasch einen Blick nach links in die Rue Mathis, wo sich hinter der Metrostation "Crimée" und der Boulangerie Patisserie der Chinese breitmacht.
Auch an der Ecke der Rue de Crimée und Rue Gresset hat er sich schon festgesetzt: Kim Phuc hat sich mit den Vietnamesen verbündet und bietet Gerichte zum Mitnehmen (Pho), während sich gleich gegenüber der Marokkaner sein Couscous zubereitet. Ein bisschen verdächtig der Name: "Mascotte" heisst bei uns in Basel nur das letzte Sexkino am Bahnhof. Und damit immer alle schön Fleisch haben, liegt gleich daneben die Boucherie Crimée.

Die Rue de Crimée ist übrigens mit 2'540 Metern die längste Strasse des 19. Arrondissements und wurde nach dem Krimkrieg (1853-1856) benannt, in dem sich Frankreich und Grossbritannien erfolgreich einer Vergrösserung Russlands auf Kosten des Osmanischen Reiches widersetzten. Der Krieg fand hauptsächlich als Stellungskrieg auf der Halbinsel Krim stattund forderte rund eine halbe Million Tote, darunter etwa 256'000 Russen, 100'000 Franzosen, 30'000 Türken und 23'000 Briten (komische Zahlen, ehrlich gesagt). Auf russischer Seite sollen etwa 129'000 bei Kampfhandlungen gefallen sein, auf Seiten der Gegner 70'000 - die übrigen seien im Wesentlichen durch Cholera gestorben, an unsachgemässer Wundbehandlung zugrundegegangen oder schlicht erfroren.

Nachdem Frankreich seit dem Wiener Kongress von 1815 ein im diplomatischen Sinn von den Herrschern seiner einflussreicheren östlichen Nachbarländer misstrauisch beäugtes und dadurch in gewissem Sinn "kontrolliertes" Staatswesen war, das in Folge der Revolutionen von 1830 und 1848 für alle europäischen Staaten als revolutionärer Unruheherd gegolten hatte, trat das Land durch den Krimkrieg aus seiner diplomatischen Isolation heraus. Die unter Leitung des französischen Kaisers Napoléon III. stattfindenden Friedensverhandlungen in Paris verhalfen Frankreich zu einer neuen Führungsrolle unter den europäischen Mächten, die Russland infolge seiner Niederlage verloren hatte.

Die kleine Kirche Saint-Jacques-Saint-Christophe de la Villette, gesehen von der Brücke über den Canal Saint-Martin aus. Die Kirche wurde zwischen 1841 und 1844 im neoklassizistischen Stil erbaut.

Die Rue de Crimée führt nun "über eine seltsame Ziehbrücke, von der aus der Blick zwischen zwei Lagerhäusern hindurch auf die grosse Wasserfläche des Bassin de la Villette fällt. Napoleon hatte es anlegen lassen, um die von ihm geplanten Pariser Brunnen mit dem Wasser zu versorgen, das über einen Kanal aus dem Flüsschen Ourcq in das Becken geleitet wird. Kaum vorstellbar, dass hier mal die elegante Welt an den mit Pappeln bestandenen Ufern entlangflanierte und im Winter in Pelz und Zylinder auf dem Eis Schlittschuh lief. Heute bietet das Bassin den traurigen Anblick eines heruntergekommenen Hafenbeckens. Die Lagerschuppen zu beiden Seiten stehen leer, nur wenige Lastkähne benutzen Napoleons Wasserreservoir, um von hier in den Canal Saint-Martin und weiter in die Seine zu tuckern." (Günther Liehr, 1982)

Bei der genannten Brücke handelt es sich um den Pont de Flandre, dessen Mittelteil ab und zu hochgezogen wird, um Lastkähne darunter vom "Canal de l'Ourcq" ins "Bassin de la Villette" durchzulassen. Offenbar war das kurz vor meiner Ankunft geschehen. Der Blick von der Brücke nach Südwesten über das "Bassin de la Villette" zeigt im Hintergrund wiederum die "Rotonde de la Villette".

Auf der anderen Seite des Pont de Flandre an der Ecke zum Quai de la Loire begegne ich mal wieder einer Bäckerei. Diese hier bietet verschiedene Sandwiches an:
  • Suédois dinde
  • Suédois poulet
  • Suédois thon
  • Suédois crabe

Nicht klar geworden ist mir der "Suédois" in diesen Sandwiches.

Noch einen Schritt weiter in die Rue de Crimée stosse ich auf das "Couscous maison" und "Restaurant Chez Papa" - von aussen sieht der Laden ganz schön verschimmelt und angesifft aus. Man könnte auch sagen verkeimt. Papa sollte mal wieder saubermachen, denke ich mir.

Daneben übrigens gleich das geschlossene Café "Le petit Zénith", wo offenbar Konzerte veranstaltet werden - ganz gleich also wie wie im "grossen" Zénith, wo Uta und ich uns im Mai 2006 das geniale Konzert der Stooges reingezogen haben.

An der Rue de Crimée 117 entdecke ich eine kanll-rotgelbe Beschriftung an einer ehemaligen Papeterie, die jetzt auch Büromöbel und der Teufel weiss was noch verkaufen muss. Auf dem alten Foto in Google Map ist diese Beschriftung noch nicht zu sehen, stattdessen stapeln sich in den Schaufenstern die unverkäuflichen Papeterieartikel.
Ein neuer Beruf scheint das Verkaufen von Dienstleistungen rund um Handy und Computer zu sein - das "Taxiphone" ist nur eine Dienstleistung des Ladens "Alimentation générale produits éxotques Afrique, Asie, Europe" an der Rue de Crimée 111: hier wird offenbar nicht nur nach Europa und Asien, sondern auch nach Afrika und vor allem in den Maghreb (Nordwestafrika) telefoniert. Dazu kann man man bei Bedarf auch gleich Glühbirnen, Batterien, verschiedenste Kosmetikprodukte und Chips einkaufen, ausserdem die aktuellen afrikanischen Filme, von denen noch kein Europäer je gehört hat: etwa Affaires conjugales (Un homme pour deux soeurs), Wakat et les deux amis, Polygamie oder Méchante femme. Ansonsten vielleicht eine Konzert-DVD mit Queen Africa und ihrem Ehemann Bouba Sacko.

Offenbar gilt Bouba Sacko als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Gitarristen aus Mali. Als er in den 1960er Jahren anfing, Gitarre zu spielen, spielten die anderen Griot_musiker hauptsächlich auf der 21-saitigen Kora (eine Art Harfe), auf dem Ngoni oder dem Balafon. Während andere Musiker bald elektrisch verstärkte Tanzmusik machten, spielte Bouba weiterhin mit den "Jelimusow" (Griot-Sängerinnen). Über die Jahre begleitete er unter anderem Ami Koita, Kandia Kouyate und seine Ehefrau Djesira Kone (die oben erwähnte "Queen Africa").

"Nachdem sie die Avenue Jean-Jaurès überquert hat, steigt die Rue de Crimée leicht an: hinauf auf den Kahlen Berg, calvus mons, beziehungsweise Chaumont. Dort stand einstmals der Gibet du Montfaucon - ein riesiges, weithin sichtbares Galgengerüst, an dem bis zu 40 Delinquenten neben- und übereinander aufgeknüpft werden konnten und tagelang im Wind hin und her schaukelten. Zuerst aber führt die Strasse über eine kleine Eisenbahnbrücke. In der Mitte des Gitters hängt ein winziges, fast völlig verrostetes Schild, auf dem gerade noch zu entziffern ist, dass am 22. August 1944 unter dieser Brücke eine Gruppe der französischen Résistance nach schwerem Kampf einen deutschen Eisenbahnzug samt Besatzung in ihre Gewalt gebracht hat." (Günter Liehr, 1982)

Diese Brücke befindet sich gleich gleich nach dem Überqueren der Rue Manin auf der rechten Strassenseite. Das Schild wurde offenbar in der Zwischenzeit erneuert und hängt nun direkt am Beginn der Brücke an der Ecke Rue de Crimée und Rue Manin. Sogar ein vertrocknetes Blumensträusschen war im Oktober 2009 über dem Schild zu finden.

Leider habe ich über den harten Kampf im Internet nichts gefunden, doch dürfte er deshalb lokalhistorische Bedeutung haben, weil zwar bereits am 18. August 1944 zur Mobilmachung sämtlicher Partisanen aufgerufen worden war, die alliierten Truppen jedoch erst am 25. August 1944 von Süden her in die Stadt eindrangen und sie von der deutschen Besatzung befreiten.

Paris, 19ème arrondissement, Parc des Buttes-Chaumont
"Neben dieser Brücke befindet sich der Eingang zu einem der verrücktesten Pariser Parks. Als die Hauptstadt im letzten Jahrhundert ein neues Gesicht erhalten sollte, fiel den Planern auch der kahle Hügel mit der düsteren Tradition ins Auge - ein Schandfleck, der nicht ins Konzept bonapartistischer Prachtentfaltung passte. Bauen konnte man da nichts Richtiges , weil der Boden allzu unterhöhlt und brüchig war, also nutzte der Stadtverschönerer Haussmann die Gelegenheit, an die Stelle dieses öden und schaurigen Ortes ein grünes Fleckchen, den Parc des Buttes-Chaumont, anzulegen. So durften sich denn hier ehrgeizige Gartenarchitekten austoben. Sie brachten eine wildromantische Kitschlandschaft zustande, die Disneyland zur Ehre gereichen würde. Da geht euer Weg jetzt durch: steile Hänge runter, felsige Treppen rauf, rüber zur anderen Seite, wo an der Avenue Simon-Bolivar der Bus von der Linie 26 wartet." (Günter Liehr, 1982)

Der fast 25 Hektaren grosse Park und besonders der "Tempel der Sibylle" soll Mittelpunkt eines mystischen Pentagramms sein, was vor immer wieder schwachsinnige Esoteriker dazu treibt, zum Missfallen der Behörden sogenannt "geheime" nächtliche Zusammenkünfte im Park zu organisieren. So sollen während solcher Rituale im Park auch schon die verschiedensten Artefakte vergraben worden sein und ihrer Ausgrabung harren.

Blick vom "Tempel der Sibylle" aus in Richtung Nordwesten. Das erstaunlichste an diesem aus drei Fotos gebastelten Panorama ist, dass die mittlere und rechte Fotografie pixelgenau aneinander passten, sodass sogar in der grössten Auflösung kaum ein Bildschnitt zu sehen ist. Auf dem Hügel links aussen im Westen ist die Basilika Sacré Cœur gut zu erkennen. Direkt geradeaus die Betonbauten an der Avenue de Flandre.
Am Südende des Parks gibt's auch ein seit 1890 dort ansässiges Kasperlitheater, Le guignol de Paris, das heute von Gérard Cony (geboren 1922) betrieben wird.

Rechts aussen zu sehen sind die spielbereiten Figuren, von links nach rechts: Polichinelle (bei uns: der Hanswurst), der Räuber, der "Bourgeois", Guignol (Kasperli), sein Sohn Nicolas.

An der Avenue Simon-Bolivar nehme ich wie empfohlen an der Station "Botzaris-Buttes Chaumont" den Bus Linie 26 (Richtung "Nation-Place des Antilles") und steige sechs Stationen später am Place Gambetta an der Station "Gambetta-Mairie de 20e" wieder aus.
Auch am Place Gambetta herrschen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - diesmal am Rathaus des 20. Arrondissements (auch bekannt als Quartier "Ménilmontant".

Der Platz hat seinen Namen nach Léon Gambetta (1838-1882), der nach der Niederlage bei Sedan und der Abdankung Kaiser Napoleons III. am 4. September 1870 zusammen mit Jules Favre die "Dritte Republik" ausrief und deren erster Innenminister wurde. Nachdem Paris sich am 28. Januar 1871 den Deutschen ergab, befürwortete Gambetta die Fortsetzung des Krieges. Adolphe Thiers bezeichnete ihn deshalb als "fou furieux" (zornigen Verrückten) und Gambetta trat schliesslich am 6. Februar 1871 von seinem Regierungsamt zurück. Nach dem Krieg war er ein entschiedener Vertreter des Revanchismus gegenüber Deutschland und prägte das Wort: "Immer daran denken, nie davon sprechen!" Noch im selben Jahr liess er sich zum Abgeordneten für das Département Seine wählen und war dann jahrelang der wichtigste Vertreter der kleinen republikanischen Opposition, der Partei der "Radikalen". 1879 bis 1881 war er Präsident der Kammer und vom 14. November 1881 bis zum 27. Januar 1882 Premierminister. Seine Regierung, die sich auf die äussere Linke und Rechte stützen musste, wurde wegen Gambettas Versuch gestürzt, ein Listenwahlsystem einzuführen. Er wurde an der Hand verletzt - nach offiziellen Berichten während er seine Pistole reparierte, vielleicht aber auch durch seine Geliebte Léonie Léon - und starb nach einigen Tagen 44-jährig an einer Blutvergiftung.

Kunst von der eher einfachen, aber umso genialeren Art findet sich am Eingang des Restaurant "Chez Betty" an der Kreuzung der Avenue du Père-Lachaise mit der Rue Malte-Brun. "C’est pas ugly, chez Betty", wie ich im Internet gelesen habe. Fast möchte ich ein Loblied anstimmen, obwohl ich gar nicht in der Kneipe drin war. Betty sieht offenbar auch aus, wie man sich eine Betty in Paris vorstellt (auf dem Foto rechts ist es die im weissen Shirt).
Paris, 20ème arrondissement, Cimetière du Père-Lachaise
Eingang zum "Cimetière du Père Lachaise" an der Einmündung der Avenue du Père-Lachaise in die Rue des Rondeaux. Gleich am Eingang gibt es wieder eine grosse Tafel, auf der die bekanntesten Toten verzeichnet sind.

Ein komischer Friedhof - eigentlich bin ich ja nur hier, weil er im Reiseführer Anders reisen: Paris (1982) von Günter Liehr verzeichnet ist - bei allen meinen bisherigen Reisen habe ich auf einen Besuch verzichtet. Nach dem Studium dieser Tafel weiss ich auch wieso: Mich interessieren die alten Knochen der hier Begrabenen einfach nicht. Nicht mal die von Eugène Delacroix - seit wann gehe ich mir denn das Grab eines Malers ansehen? Kommt gar nicht in Frage. Eine einzige Ausnahme mache ich für diesmal: Hier liegt nämlich auch Jules Vallès, in der 66. Division, und der kriegt bestimmt nicht viel Besuch.

Ein paar Schritte voraus steht rechterhand das Denkmal für die in den Reihen der französischen Résistance während des Zweiten Weltkriegs gefallenen russischen Kämpfer. Der dargestellte russische Kämpfer trägt übrigens nicht nur zwei Gewehre mit sich, sondern auch zwei Eierhandgranaten.

Ebenfalls zu Besuch auf dem Friedhof ist die rechts gezeigte Friedhofskatze, die sich vermutlich von leichenverzehrenden Mäusen ernährt.

Jules Vallès zuliebe tipple ich also ein wenig auf diesem Friedhof herum. Inzwischen ist Herbst geworden und das ist ja ganz passend: Kalter Steine, die Bäume ohne Blätter, und reichlich Tote rings um mich her.

Immerhin, in der 66. Divison, wo Jules liegt (auf dem Foto rechts auf der linken Seite), da scheint noch die Sonne und es hat noch Grün an den Bäumen. Ich schaue ein wenig herum und finde nicht, was ich suche - Jules liegt also nicht in der ersten Reihe.

Schliesslich finde ich ihn in der zweiten Reihe, hier steht's: "Jules Vallès 1832-1885 - Ce qu'ils appellent mon talent n'est fait que de ma conviction." (Was sie mein Talent nennen ist nichts als meine Überzeugung)

Nach einer unruhigen Jugend ohne Abitur, als Anhänger Proudhons und der Einweisung in eine Nervenheilanstalt durch seinen Vater, liess Jules Vallès sich während des Deutsch-Französischen Krieges 1870 in die Internationale aufnehmen, wurde Chef eines Bataillons der Nationalgarde und beteiligte sich als solcher bei allen Meutereien während der Belagerung von Paris. Nach der Kapitulation der Stadt gründete er das Blatt Le cri du peuple (dt. "Der Volksruf"), das offizielle Organ der Häupter der Nationalgarde, und wurde nach dem Aufstand vom 18. März 1871 zum Mitglied der Pariser Kommune erwählt. Nach dem Einrücken der Truppen von Versailles gelang es ihm, nach London zu entkommen, von wo aus er als Mitarbeiter an dem sozialistischen Journal La résolution française tätig war. In Frankreich wurde er indessen in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach der Amnestie vom Juli 1880 kehrte er nach Paris zurück und lebte er von seiner belletristischen Arbeit.

Sein bekanntestes Werk ist zweifelsohne die zwischen 1879 und 1886 veröffentlichte Trilogie Jacques Vingtras, einer der grossen autobiografischen Romane der Weltliteratur. Vallès zeigt, wie er Aufrührer und Revolutionär wurde: Nicht durch Theorien, Ideologien, Bücher, romantische Vorbilder oder weil er zu faul zum arbeiten war, sondern durch die Erfahrung des alltäglichen Elends, die Unterdrückung und Verlogenheit in der Familie, durch das Elend der Sinnlosigkeit und Demütigungen in der Schule, durch Armut und Arbeitslosigkeit, die den Absolventen der staatlichen Bildungseinrichtungen tagaus, tagein erniedrigten. Er widmete das erste Buch des Jacques Vingtras mit dem Titel Das Kind: "Allen, die in der Schule vor Langeweile umkamen oder zu Haus weinten, die in der Kindheit von ihren Lehrern tyrannisiert oder von ihren Eltern verprügelt wurden." Der zweite Teil, Die Bildung, trägt folgende Widmung: "Denen, die mit Griechisch und Latein genährt, Hungers gestorben sind, widme ich dieses Buch." Den dritten Teil, Die Revolte, widmete er: "Den Toten von 1871. Allen, die als Opfer der sozialen Ungerechtigkeit gegen eine schlecht eingerichtete Welt zu den Waffen griffen und unter der Fahne der Kommune die grosse Förderation der Schmerzen bildeten, widme ich dieses Buch."

Als Jules Vallès 1885 als 52-jähriger starb, versammelte sich zu seinem Begräbnis eine Menschenmenge von etwa 10'000 Personen, darunter etliche Abgeordnete und ehemalige Mitglieder der Kommune sowie verschiedene Delegationen. Es wurden rote Fahnen entfaltet und unterwegs ertönten am Strassenrand die Rufe "Vive la Commune! Vive la révolution sociale! Vive l'anarchie!" Im Jahr 1914 wurde das Grab mit einer Porträtbuste des Bildhauers Jean Carlus geschmückt.