Friedrich Nietzsche

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Deutscher Philosoph ; geboren 1844, gestorben 1900

Die Unschuld des Werdens : der Nachlass : erster Band

233. Die Sprache auf den stärksten Ausdruck gesteigert - Stabreim.

488. Warum erdichtet man nicht ganze Geschichten von Völkern, von Revolutionen, von politischen Parteien?

498. Ein bezauberndes Werk! Aber wie unausstehlich, dass sein Schöpfer uns immer daran erinnert, es sei sein Werk! Weiss er denn nicht, dass "der Vater" immer eine komische Figur ist?

507. Du sagst: "das gefällt mir" und meinst mich damit zu loben. Aber du gefällst mir nicht -!

508. Das Verständlichste an der Sprache ist nicht das Wort selber, sondern Ton, Stärke, Modulation, Tempo, mit denen eine Reihe von Worten gesprochen wird - kurz die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft: alles das also, was nicht geschrieben werden aknn. Deshalb ist es nicht mit Schriftstellerei.

509. Der Takt des guten Prosaikers in der Wahl seiner Mittel besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten. [...] Es ist sehr artig und sehr klug, seinem Leser zu überlassen, die letzte Quintessenz unserer Weisheit selber auszusprechen.

510. ...wie bei den Strassenfegern, welche auch niemand daraufhin prüft, ob sie am besten verstehen, die Strassen zu fegen; genug, dass sie den Willen zu diesem unsauberen Geschäft haben. Ebenso weist jeder Stand das Geschäft der Jugenderziehung von sich ab...

511. ...wie uns eine edle Gesellschaft Inspiration zu edlen Gebärden gibt.

514. Der Schauspieler hat das Gefühl nicht, das er darstellt.

516. Die Verfeinerung der Grausamkeit gehört zu den Quellen der Kunst.

525. Die Musiker sind geil.

532. Ich würde das Glück des ganzen Westens eintauschen gegen die russische Art, traurig zu sein.

535. Der grosse Stil besteht in der Verachtung der kleinen und kurzen Schönheit, ist ein Sinn für Weniges und Langes.

689. Die Asketen wissen allein, was Wollüste sind.

715. Schimpfworte hat jedermann gern, aber nie hat jemand geglaubt, dass ihm selber eins mit Recht zukomme.

727. Es ist ein Vorrecht, niemanden kennen zu müssen, aber von allen gekannt sein zu müssen.

744. Der beständige Feuereifer für eine Sache verrät einen Mangel an geistiger Vornehmheit.

746. Die Eifersucht ist die geistreichste Leidenschaft und trotzdem noch die grösste Torheit.

750. Du fühlst es noch nicht einmal, dass du träumst: oh, da bist du noch ferne vom Aufwachen!

756. Der Mensch allein widerstrebt der Richtung der Gravitation: er möchte beständig nach oben - fallen.

773. Die Einsamkeit macht uns härter gegen uns und sehnsüchtiger gegen die Menschen: in beidem verbessert sie den Charakter.

782. Die sogenannten Liebenswürdigen wissen uns auf die kleine Münze der Liebe herauszugeben.

786. Schauspieler gehen am Ungelobtsein, echte Menschen am Ungeliebtsein zugrunde.

787. Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er - seinen Kopf verliert.

791. Nimm dich vor dem in acht: Er redet nur, um nachher hören zu dürfen, - und du hörts eigentlich nur, weil es nicht angeht, immerfort zu reden, d. h. du hörst schlecht und er hört nur zu gut.

806. Die tiefste Liebe, welche ihren Namen nicht weiss und fragt: "heisse ich nicht Hass?"

810. Was uns hindert ganz zu lieben, hassen wir am meisten.

812. "Ich ärgere mich: denn du hast Unrecht" - so denkt der Liebende.

814. Auch im Hasse gibt es Eifersucht: wir wollen unseren Feind für uns allein haben.

818. Wer uns nicht fruchtbar macht, wird uns sicher gleichgültig.

819. In allem Verkehr von Menschen dreht es sich nur um Schwangerschaft.

822. Immer erfinden und erdichten wir erst den Menschen, mit dem wir verkehren.

824. "Daran erkenne ich den Überreichen! Er dankt dem, der nimmt."

826. Misslingt etwas, so soll man seinen Mithelfern die Hilfe doppelt bezahlen.

842. Wenn wir lieben, schaffen wir Menschen nach dem Ebenbilde unseres Gottes: und dann erst hassen wir unseren Teufel von Grund aus.

844. In der Leutseligkeit ist viel Menschenverachtung.

849. Die Lüge ist die Menschenfreundlichkeit der Erkennenden.

854. Menschen, die nach Grösse streben, sind gewöhnlich böse Menschen: es ist ihre einzige Art, sich zu ertragen.

858. Den, der uns liebt, zu verführen, dass er tut, worüber er Scham leidet vor sich und uns, - das ist das Grausamste des Grausamen.

867. Alle gut verfolgten Dinge hatten bisher Erfolg.

877. Man denkt nie soviel an einen Freund oder eine Geliebte, als wenn die Freundschaft oder Liebschaft im letzten Viertel steht.

887. Es ist viel unangenehmer Vater zu sein als Sohn.

895. Wenn die Scham die Ursache der Liebe ist: überall wo eine Befriedigung des Triebes verwehrt wird, entsteht ein neuer Zustand, und eine gewisse züchtigere Qual und Befriedigung, es wird so ein Ideal zum Keimen gebracht - etwas Sinnlich-Übersinnliches.

903. Geht durch die grossen Städte und fragt euch, ob dies Volk sich fortpflanzen soll! Mögen sie zu ihren Huren gehen!

912. Die Liebe endet, sobald wir das Wesen als begrenzt empfinden.

924. Vermöge der Liebe sucht der Mann die unbedingte Sklavin, das Weib die unbedingte Sklaverei.

931. Das Weib begeht zehnmal weniger Verbrechen als der Mann - folglich ist es moralisch zehnmal besser: sagt die Statistik.

938. Wenn ein Mann mit einem Weibe Freundschaft schliesst, so meint es, er tue es, weil er nicht mehr erreichen könne.

948. Die Ehe ist für die durchschnittlichen Menschen ausgedacht, welche weder der grossen Liebe noch der grossen Freundschaft fähig sind, für die Meisten also: aber auch für jene ganz Seltenen, welche sowohl der Liebe als der Freundschaft fähig sind.

962. In der meisten Liebe gibt es einen, der spielt, und einen, der mit sich spielen lässt.

963. Et l'homme et la femme savent, de naissance, que dans le mal se trouve toute volupté.

974. "Emanzipation des Weibes"... dass nun auch die hässlichen Weiber die Befriedigung ihrer Triebe durch die Männer verlangen.

981. Zum mindesten soll man wissen, dass die treuest und leidenschaftlichst Liebenden gerade eine kleine Untreue zur Erholung nötig haben, ja zur Ermöglichung der Dauer der Liebe.

985. Die Ehe ist genau so viel wert, als die, welche sie schliessen: also ist sie, durchschnittlich, wenig wert.

997. Die Tatsache, dass ein Mann von Zeit zu Zeit ein Weib nötig hat, wie er von Zeit zu Zeit eine rechtschaffene Mahlzeit nötig hat.

1002. Dem Weibe, das er nicht verdient, verfällt der Mann.

1075. Ich will nie zum Widersprechen herausfordern.

1093. Ich gebe meinem Hang zur Einsamkeit nach, ich kann nicht anders: "obgleich ich es nicht nötig hätte" - wie die Leute sagen. Aber ich habe es nötig. Ich verbanne mich selber.

1140. Um zu handeln, musst du an Irrtümer glauben.

1171. Warum so abseits? - Ich finde niemanden mehr, dem ich gehorchen könnte, und niemanden auch, dem ich befehlen möchte.

1172. "Ich fliehe nicht die Nähe der Menschen: gerade die Ferne, die ewige Ferne zwischen Mensch und Mensch treibt mich in die Einsamkeit."

1178. Man gewinnt etwas lieb: und kaum hat man es von Grund aus lieb gewonnen, so ruft jener Tyrann in uns: "gerade das gib mir zum Opfer!" - und wir gebens.

1242. "Schädlich sein" und "zugrunde richten" gehört so gut zu den Aufgaben des Philosophen wie "nützlich sein" und "aufbauen".

1317. Dies sind meine Urteile: und ich gebe dadurch, dass ich sie drucke, noch niemandem das Recht, sie als die seinen in den Mund zu nehmen.

Die Unschuld des Werdens : der Nachlass : zweiter Band

9. Wir beurteilen die Methode des Erkennens als: schleimig, verwest, übelriechend, Unrat, ausgespien, wiedergekäut, madenzerfressen, schal, abgestanden, dumpf usw.

10. Es kommt in der Wirklichkeit nichts vor, was der Logik streng entspräche.

35. Im Grunde ist es nicht ein Gegenstand, den man will, sondern ein angenehmer Zustand von uns, der uns in irgendeiner Verbindung mit dem Gegenstande vorgekommen ist.

118. Die Gleichheit ist ein grosser Wahn.

139. Liebhaber der Erkenntnis! Und du hast noch nicht einmal einen Menschen getötet, um dies Gefühl kennenzulernen!

162. Und wohin ich auch steige, überallhin folgt mir mein Hund, der heisst "Ich".

164. Ich und Mich sind immer zwei verschiedene Personen.

201. Die arithmetischen Formeln sind nur regulative Fiktionen, mit denen wir uns das wirkliche Geschehen, zum Zweck praktischer Ausnützung, auf unser Mass - auf unsere Dummheit - vereinfachen und zurechtlegen.

957. Allen Frauen, denen die Sitte und die Scham die Befriedigung des Geschlechtstriebes untersagt, ist die Religion, als eine geistigere Auslösung erotischer Bedürfnisse, etwas Unersetzbares.

969. Jesus will, dass man an ihn glaubt, und schickt alles in die Hölle, was widerstrebt. [...] Der Hass gegen die Lachenden. [...] Es war der böseste aller Menschen.

976. Man verdankt der christlichen Kirche: 1. eine Vergeistigung der Grausamkeit: die Vorstellung der Hölle, die Foltern und Ketzergerichte, die Autodafés sind doch ein grosser Fortschritt gegen die prachtvolle, aber halb blödsinnige Abschlachterei in den römischen Arenen. Es ist viel Geist, viel Hintergedanke in die Grausamkeit gekommen. Es hat viele Genüsse gefunden.

978. "Ist nicht selbst der antike Schmutz noch mehr wert, als diese ganze kleine anmassliche Christenweisheit und -muckerei?"

1002. Alle öffentlichen Schulen sind auf die mittelmässigen Naturen eingerichtet.

1017. Der müssige Gemeine fällt sich und der Welt zur Last.

1048. Durch Alkohol und Musik bringt man sich auf Stufen der Kultur und Unkultur zurück, welche unsere Voreltern überwunden haben: insofern ist nichts lehrreicher, nichts "wissenschaftlicher", als sich zu berauschen...

1055. Der edle Mensch leidet schweigend.

1059. Mit dem Worte "Recht" treibt man Pharisäismus. Ich wüsste nicht, woher es abzuleiten wäre, dass das Stärkere, Höhere seine Macht gegen das Geringere ausüben dürfte: noch weniger, warum es das nicht dürfte.

1199. Die Vorteile in dieser Zeit: "Nichts ist wahr: alles ist erlaubt".

1201. Demokratie ist die Verfallsform des Staates.

1325. Zum ewigen Nacheinander gleicher Welten ein ewiges Nebeneinander?

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