Text "Warnung" (Franz Hohler)

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Autor Franz Hohler
Texttitel Warnung
Sprache deu
Textform Gedicht
Veröffentlichung 1973

Warnung

Achtung!
Rühren Sie sich nicht! Bleiben Sie stumm!
Draussen geht ein armer Irrer um.
Schauen Sie weg! Schliessen Sie sich ein!
Jeder kann sein nächstes Opfer sein
und die Hoffnung, ihn zu fassen, ist verschwindend klein.

Dieser Irre ist ein Mann der nackten Gewalt
alles, was menschlich ist, lässt ihn kalt
er stösst die Leute unter rollende Wagen
oder sticht ihnen einfach ein Messer in den Magen
hantiert mit Pillen und Pistolen
blockiert die Bremsen, öffnet die Dolen
setzt Maschinen unter Strom
braucht Arsenik oder Brom
kann ein Strassenstück vereisen
bringt die Züge zum Entgleisen
geht besonders gern zuoberst in ein Haus
und schubst ein kleines Kind zum Fenster hinaus.

Achtung!
Rühren Sie sich nicht! Bleiben Sie stumm!
Draussen geht ein armer Irrer um.
Schauen Sie weg! Schliessen Sie sich ein!
Jeder kann sein nächstes Opfer sein
und die Hoffnung, ihn zu fassen, ist verschwindend klein.

Etwas erschwert die Fahndung sehr
wer ihn einmal sieht, der erzählt es nicht mehr.
Ich rate Ihnen also, wenn Sie glauben, ihn zu sehen,
möglichst unauffällig zur Seite zu gehen.
Passen Sie auf! Vielleicht steht er hinter Ihnen
oder lockt Sie dort vorn zu den Betonmischmaschinen.
Welcher Lastautochauffeur
fährt so knapp vor ihnen her
kriecht so langsam über Land
Gottseidank, jetzt winkt die Hand
aus dem Fenster zum Passieren, und dann hört man doch sein Lachen
wenn die Autos frontal aufeinanderkrachen

Achtung!
Rühren Sie sich nicht! Bleiben Sie stumm!
Draussen geht ein armer Irrer um.
Schauen Sie weg! Schliessen Sie sich ein!
Jeder kann sein nächstes Opfer sein
und die Hoffnung, ihn zu fassen, ist verschwindend klein.

Auch wenn Sie sich verriegeln, hat es noch kein Ende
dieser hundsgemeine Kerl, der geht auch durch die Wände
verstreut, wenn's ihm passt, Bazillen aller Art
die er speziell für Familienväter spart
und die Leute kriegen Beulen mit Rändern
wenn er beginnt, die Gewebe zu verändern
und niemand kann sich schützen
er füllt sogar die Spritzen
und kann die Leute zwingen
sich selber umzubringen
dieser Irre schreckt vor gar nichts zurück
wo immer er durchgeht, bricht ein Blick.

Achtung!
Rühren Sie sich nicht! Bleiben Sie stumm!
Draussen geht ein armer Irrer um.
Schauen Sie weg! Schliessen Sie sich ein!
Jeder kann sein nächstes Opfer sein
und die Hoffnung, ihn zu fassen, ist verschwindend klein
denn der Irre, der uns so schamlos bedroht -
dieser arme Irre ist
der Tod.

Versionen

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Anmerkungen

  • Aus dem Programm Nachtübung (1973).