Text "Strandgut" (Franz Hohler)

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Autor Franz Hohler
Texttitel Strandgut
Sprache deu
Textform Geschichte
Veröffentlichung 1973

Strandgut

Eines Morgens wird an der Küste irgendeines Meeres
wahrscheinlich im Norden
etwas stranden, das voll ist von Algen und dicht besät mit Muscheln
wahrscheinlich ein Koffer
und die Leute werden sich darum versammeln und beraten
was damit zu tun sei.

Schliesslich beginnt ein Fischer, die Schicht mit dem Messer abzuschaben
nun sieht man zwei Schlösser
alsbald geht der Dorfschmied daran, mit der Zange und dem Meissel
den Koffer zu sprengen
und die Leute recken jetzt ihre Hälse, um zu sehen
was darin ist.

Gleich richten alle sich wieder auf, und es steigt aus ihrer Mitte
ein Laut der Enttäuschung
nichts ist zu sehen im Innern des Koffers, ausser einem Schimmel
von schwärzlicher Farbe
und am Boden liegt ein flaches, rundes Stück von einem Stein
der trägt eine Inschrift.

Niemand jedoch versteht die Botschaft, und keiner kennt die Sprache
in der sie verfasst ist.
Da holt man den Dorfschullehrer herbei und fragt, ob er verstehe
was darauf geschrieben
Der Lehrer nimmt den Stein in seine Hand, und bald schon nickt er
und beginnt zu lesen

"Diesen Koffer werde ich,
Servatius Omnignosticus,
Prosektor, Arzt und Humanist zu Amsterdam,
heute,
den 2. Juli 1483,
auf hoher See versenken.
Darin gefangen und gebannt auf immer
habe ich
die allerschauerlichste Geissel dieser Welt
den Virus einer Seuche
gegen die die Pest
nicht vielmehr als ein Schnupfen ist.
Gott verhüte
dass dieser Koffer je gehoben wird."

Anmerkungen

  • Aus dem Programm Nachtübung (1973).