Text "Zisch! (Stephan und Nina)" (Detlef Kinsler)
Autor | Detlef Kinsler |
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Texttitel | Zisch! |
Untertitel | Stephan und Nina |
Sprache | Deutsch |
Textform | |
Veröffentlichung | 1984 |
Text
Zisch!
"...der atomare Holocaust wird zur gigantischen Silvesterparty mit Konfetti und Sektkorken. Zumindest aus der Sicht der galaktischen Reisenden. Die Grenze zwischen giftigem Zynismus und kritischem Humor ist nicht immer klar zu ziehen, und der Titel wird nach seiner Veröffentlichung sicher zum Mittelpunkt einer erregten Auseinandersetzung werden", schrieb die Phonogram in weiser Voraussicht in ihrem Presseinfo zu Feuerwerk, dem Solodebüt von Trios Stephan Remmler, das er mit seiner neunjährigen "Partnerin" Angela alias Nina, die er durch eine Bild-Zeitungs-Aktion fand, nun optisch umsetzt. Ein reichlich irritierter Detlef Kinsler skizzierte in Frankfurt Stephans Kommentar zu "Feuerwerk" (gleichzeitig auch in englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache veröffentlicht), die Vorgeschichte und die Reaktionen, die Stephan erhofft:
Wie's dazu gekommen ist?!?? Karl Schindler, den du vielleicht auch kennst, ein Schreiber, für'n Express Köln, das ist ein Bekannter von mir, der hat die Nummer geschrieben und hat mir ein Demo geschickt, wo ich mal meine Meinung zu sagen sollte. Und ich war von dem Ding von vornherein so begeistert, dass ich nach zwei Tagen gesagt habe, die Nummer ist so geil, die mach ich selber. Und dann war da die Sache mit Nina Hagen, dass ich, gedacht habe, weil Nina ja auch mit den Ausserirdischen. Und ich habe sie auch getroffen, habe es ihr vorgespielt, sie fand das auch toll, und wir wollten das auch zusammen machen, doch das ist an ihrer amerikanischen Plattenfirma gescheitert.
Die Idee, das Lied zu machen, ist gekommen, weil ich die Nummer so toll finde. Das ist für mich einer der ganz seltenen Fälle, wo du so ein ernstes Thema mit leichter Unterhaltung zusammenpackst. Das meiste ist ja so, wenn so was angefasst wird, dass es ernst ist. Da kommt erst die Nummer mit der lustigen Unterhose und dann "Jetzt wollen wir mal ernst sein!" über die heutige Zeit, und hinterher wird's dann wieder lustig... Dass das so richtig zusammen geht, das ist ja sehr selten. Und da bin ich ein grosser Freund von so Filmen wie To be or not to be, den neuen von Mel Brooks kenne ich jetzt nicht, aber das Original, das ist eine tolle Komödie, KZ und so, alles so an der Grenze, aber so sicher, dass es beweist, man kann auch so ein Thema zu Unterhaltung machen. Vielleicht durfte der Lubitsch das nur machen, weil er selbst polnischer Jude war und konnte jetzt Scherze übers KZ machen.
"Feuerwerk" ist Gegenwart. Und ich finde das auch toll gelöst. Als ich die Nummer zum ersten Mal gehört habe, habe ich richtig gelacht. Klar ist das Galgenhumor. Aber mir ist das, zumindest wenn ich so ein Thema aufgreife, lieber als wenn ich den Zuschauer da nun deprimiert zurücklasse und so. Natürlich muss man sich auch mit solchen Themen beschäftigen, aber wie kann man das machen, wenn es im Augenblick um Unterhaltung geht? Man kann natürlich sagen, ich mache nur Unterhaltung, die hat damit nichts zu tun, und jetzt lese ich mal den Spiegel, oder jetzt lese ich Die Zeit oder was immer. Okay... Aber dass beides auch mal zusammenkommt, das finde ich toll. Diese Propagandafilme im Zweiten Weltkrieg, sowohl von den Deutschen als auch von den Amis, leider ging's da nun um eine andere Richtung, aber wie da Revuefilme gemacht wurden, und es drehte sich darum, dass nun Leute für'n Krieg angeworben werden sollten. Jetzt mal abgesehen von der ideologischen Richtung, dass so etwas möglich ist und jetzt mit einer wie ich meine richtigen ideologischen Richtung, das finde ich schon sehr begrüssenswert.
Der Irrwitz, der Irrsinn dieser ganzen Raketenkiste, der wird einem doch hier vor Augen geführt. Die gutwilligen, freundlichen Ausserirdischen, die können sich überhaupt nicht vorstellen, dass jemand so bekloppt ist, die Welt in die Luft zu jagen. Die kommen darauf. Das muss ein Freudenfeuer sein, die machen 'ne Party. Die Ausserirdischen sehen da auf der Erde schöne Raketen und zisch und knall und bumm, und jetzt kommt ja der Unterschied. Die sagen nun nicht "Um Himmels Willen die Erde, jetzt isses vorbei!" und "Oh Gott. 2000 Jahre Kultur" und wie es so sonst so heisst, der Wahnsinn, sondern die sagen: "Guck mal, wie schön ist das nicht toll?!??" und "Die feiern eine Party nach der anderen" und "Die feiern ja immer noch, das finde ich also, ja, ich find's toll. Du nicht, was?" Das ist ja keine neue Erfindung, das ist ja ein bekanntes literarisches Moment, dass man sich einen anderen Standpunkt wählt, um dann eine Sache jemandem vor Augen zu führen, wie das aussieht, wenn jemand anders sich das anschaut.
Die thematische Umsetzung als solche ist doch so ausgeflippt, so absurd, auch das Thema als solches, mit dem siebzehnfachen Overkill und, dann wird gefeilscht, und dann einigen sie sich und dann haben sie nur noch den sechzehnfachen Overkill. Dies Thema ist doch so absurd, dass man das eigentlich - ich sage das mal so - nur noch so darstellen kann. Mit allen rationalen Dingern, diese ewigen Tagungen in Genf, die Jahre dauern und wo nix bei rauskommt, das hat man doch im Grunde abgeschrieben. Im Grunde bleibt doch nur noch "Die sind bekloppt. Ab dafür!" über. Ich will jetzt nicht sagen, dass die ganzen Friedensmarschierer, dass das alles für die Katz ist. Aber das finde ich zumindest genauso gerechtfertigt wie das andere auch.
Aber ich kann mich natürlich entschliessen Politiker zu werden und durch die Institutionen marschieren und arbeiten und irgendwann in Brüssel sitzen und, wenn ich denn 60 bin, mit meinen Unterschriften dafür sorgen dass... usw. usw. Okay, das ist eine andere Karriere. Ich bin Musiker, und mein Ansatz den ich da mache, der liegt mir mehr, als wenn ich auf der Bühne oder sonst wo auf der Platte mit einem mal umschalte und sage: "Ich habe hier ein ernstes Thema, bedenkt doch mal usw." Was ich halt so toll finde: Das ist ein ganz normales Discolied (wir hätten's auch als Schlager machen können), das reingeht, das man mitpfeift, mittrommelt und gegen Ende des Liedes merkt man erst. "Holla, worum geht's da eigentlich?" Dass das also wirklich für das Hausfrauenradio ist und jede Oma kann mitpfeifen... Und erst so nach und nach kriegt man mit, dass das ja sehr heavy ist...
Und das finde ich toll, dass man sich so einschleicht in den Gehörgang mit ganz normalen Mitteln. Im Text hätte ja auch vorkommen können "Dance, dance, dance my baby", was man ja auch so annimmt, wenn man das so hört mit dem Discobeat und so. Aber erst nach einer leichten Irritation merkt man: "Holla, das ist ja gar nicht so lustig wie es zuerst scheint". Und das reizt mich. Am schönsten wäre für mich wenn das ein richtiger Hit wird. Einmal, weil's immer schön ist, wenn man einen Hit hat. Und dann auch, wenn ich mir vorstelle, dass in solchen Ausmassen durch alle Altersklassen die Leute "Da da da" oder "Düse düse" so ein Lied vor sich hin trällern, das zum Inhalt hat dass wir einen total absurden ausgeflippten Wahnsinnskurs mit unseren, Raketen steuern, das finde ich toll. Und das ist ja meiner Meinung nach nicht zu erreichen, mit einem Lied, das wahnsinnig anspruchsvoll ist. Da kriegst du ja nie diesen Tagesschlager heraus."
Versionen
Datum | Autor | Format | Titel | Verlag | Anmerkungen |
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1984 | Detlef Kinsler | Artikel | Zisch! Stephan und Nina |
DE: | Interview |
Anmerkungen
- Ein von Detlef Kinsler im Sommer 1984 in Frankfurt am Main geführtes Interview mit Stephan Remmler.