Jules Vallès/Biografie
Jules Vallez wurde als Sohn des Grundschullehrers Louis Vallez geboren, der ein armes, ungebildetes Landmädchen geheiratet hatte und selber aus bäuerlichen Verhältnissen stammte. Von den insgesamt sieben, mit grosser Disziplin und extremer Härte erzogenen Kindern des Ehepaares überlebten schliesslich nur zwei. Bedingt durch die Entlassung und mehrere Stellungswechsel seines Vaters verbrachte Jules Vallès seine Jugend teilweise in Saint-Étienne und ab 1846 in Nantes, wo er bei Ausruf der Zweiten Republik 1848 als 16-jähriger zum Verdruss seines Vaters eine extremistische Bewegung ins Leben rief, die die Abschaffung des Reifezeugnisses und sämtlicher Diplome forderte. Vorübergehend auf das Lycée Bonaparte (heute Lycée Condorcet) in Paris geschickt, scheiterte er in Nantes bei der Abiturprüfung, überwarf sich mit seinem Vater und kehrte nach Paris zurück, wo er sich für die Ideen Pierre Joseph Proudhons, des damals bekanntesten französischen Sozialisten begeisterte und zu den Anführern des Aufruhrs um die Entlassung Jules Michelets vom Collège de France gehörte. Nach dem Staatsstreich Louis Napoleon Bonapartes vom 2. Dezember 1851, der in ganz Frankreich zu blutigen Kämpfen führte, rief Vater Vallès, um seine eigene Lage und vor allem um seinen Lehrerposten besorgt, den kompromittierenden Sohn nach Nantes zurück und liess ihn am 31. Dezember 1851 unter dem Vorwand der Geistesgestörtheit in eine Nervenheilanstalt einweisen, wo er bis zum 2. März 1852 interniert blieb.
Bald darauf wurde er Sekretär des Literaturkritikers Gustave Planche und veröffentlichte 1857 seine erste Schrift, L'argent. Zugleich schrieb er für verschiedene Zeitungen wie Le Figaro, L'événement und Liberté, denen er durch seine vehemente Angriffe gegen das Bürgertum wiederholt Verurteilungen einbrachte. Vorübergehend war er auch Beamter der Polizeipräfektur.
In seinem ersten Buch Les réfractaires (1866), eine Sammlung von Artikeln, die zuerst in der Zeitung Le Figaro erschienen war, schrieb er einleitend:
"Meine Refrektären, meine Abtrünnigen, treiben sich umher auf den Misthaufen der grossen Städte... Abtrünnige sind Leute, die alles angefangen haben und nichts geworden sind. Sie haben alle Fakultäten besucht... - sie bekamen keinen Grad, kein Patent und kein Diplom...
Der ist ein Abtrünniger, der mit den Füssen nicht im Leben steht, weil er keinen Beruf, keinen Stand, kein Handwerk übt und der sich nicht betiteln kann, sei es als Möbeltischler, Notar, Doktor oder Schuster, und dessen einziges Gepäck seine Manie ist - blöd oder gewaltig, fad oder berühmt und einerlei, ob er Kunst, Literatur, Astronomie, Magnetismus oder Handleserei betreibt, oder ob er per Zufall eine Bank, eine Schule oder eine Religion zu gründen trachtet [...]
Der Abtrünnige in Paris durchläuft die Spiessrutengassen der Zischenden und der Auslachenden; er schreitet mit offener Brust und flammendem Stolze geradeaus, ohne den Weg zu überlisten. Das Elend bläst ihn mit eisigem Hauche an, packt ihn am Halse und schmeisst ihn in die Gosse; so fallen, welken und sterben gar oft die tapferen Naturen [...], weil sie, blind wie sie waren, der Lebenswirklichkeit ins Gesicht gelacht, weil sie der Gefahren und der Forderungen gespottet haben. Die Wirklichkeit [...] zwingt sie zu einem zehnjährigen Todeskampf ohne Grösse, voll grotesker Schmerzen und ruhmloser Opfer."
1867 gründete er die Zeitschrift La rue, die aber nach 27 Ausgaben polizeilich unterdrückt wurde. Später gab er auch die Zeitschriften Journal de Sainte-Pélagie (1868), Le peuple (1869; 15 Ausgaben) und Le réfractaire (3 Nummern) heraus.
Nach dem 4. September 1870 liess er sich in die Internationale aufnehmen, wurde Chef eines Bataillons der Nationalgarde und beteiligte sich als solcher bei allen Meutereien während der Belagerung von Paris. Nach der Kapitulation der Stadt gründete er das Blatt Le cri du peuple (1871), das offizielle Organ der Häupter der Nationalgarde, und wurde nach dem Aufstand vom 18. März 1871 zum Mitglied der Pariser Kommune erwählt. Nach dem Einrücken der Truppen von Versailles gelang es ihm, nach London zu entkommen, von wo aus er als Mitarbeiter an dem sozialistischen Journal La résolution française, tätig war. In Frankreich wurde er indessen in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Nach der Amnestie vom Juli 1880 nach Paris zurückgekehrt, lebte er von seiner belletristischen Arbeit. Sein bekanntestes Werk ist zweifelsohne die zwischen 1879 und 1886 veröffentlichte Trilogie Jacques Vingtras, einer der grossen autobiografischen Romane der Weltliteratur, ebenso bedeutend wie Gorkis oder Strindbergs Lebensgeschichte. Vallès zeigt, wie er Aufrührer und Revolutionär wurde: Nicht durch Theorien, Ideologien, Bücher, romantische Vorbilder oder weil er zu faul zum arbeiten war, sondern durch die Erfahrung des alltäglichen Elends, die Unterdrückung und Verlogenheit in der Familie, durch das Elend der Sinnlosigkeit und Demütigungen in der Schule, durch Armut und Arbeitslosigkeit, die den Absolventen der staatlichen Bildungseinrichtungen tagaus, tagein erniedrigten.
Er widmete das erste Buch des Jacques Vingtras mit dem Titel Das Kind (1879): "Allen, die in der Schule vor Langeweile umkamen oder zu Haus weinten, die in der Kindheit von ihren Lehrern tyrannisiert oder von ihren Eltern verprügelt wurden."
Der zweite Teil, Die Bildung (1881), trägt folgende Widmung: "Denen, die mit Griechisch und Latein genährt, Hungers gestorben sind, widme ich dieses Buch."
Den dritten Teil, Die Revolte (1886), widmete er: "Den Toten von 1871. Allen, die als Opfer der sozialen Ungerechtigkeit gegen eine schlecht eingerichtete Welt zu den Waffen griffen und unter der Fahne der Kommune die grosse Förderation der Schmerzen bildeten, widme ich dieses Buch." Dieser dritte Teil blieb unvollendet und wurde 1886 von seiner Schülerin Caroline Rémy (gen. Séverine) fertiggestellt und postum herausgegeben.
Jules Vallès starb 52-jährig am 14. Februar 1885 in seiner Wohnung in Paris (77 Boulevard Saint-Michel). Als der Sarg - bedeckt mit der roten Seidenschärpe, die Vallès als Mitglied der Kommune getragen hatte - am 16. Februar um die Mittagsstunde aus dem Haus getragen wurde, hatte sich davor eine Menschenmenge von etwa 10'000 Personen versammelt. Dem Leichenzug zum Friedhof Père-Lachaise folgten, hinter den Familienangehörigen des Verstorbenen, Henri Rochefort, die Abgeordneten Antoine Révillon, Clovis Hugues und Georges Laguerre, in Paris gegenwärtige ehemalige Mitglieder der Kommune wie Charles Amouroux, Augustin Avrial, Arnaud, Henri-Louis Champy, Frédéric Cournet, Louis-Simon Dereure, Clovis Dupont, Émile Eudes, Gérardin, François Jourde, Charles Longuet, Benoït Malon, Jules Martelet, Eugène Pottier, Dominique Regère, Raoul Urbain, Édouard Vaillant, Auguste Viard, und verschiedene Delegationen. Es wurden rote Fahnen entfaltet und unterwegs ertönten am Strassenrand die Rufe "Vive la Commune! Vive la révolution sociale! Vive l'anarchie!" Aufgrund eines von den deutschen Sozialisten gestifteten Kranzes kam es zu mehreren Zwischenfällen. Die Polizei griff nicht ein. Die Grabrede hielt Henri Rochefort.
Im Jahr 1914 wurde das Grab mit einer Porträtbuste des Bildhauers Jean Carlus geschmückt.