1797 Augustin Fangé Buch "Geschichte des männlichen Barts unter allen Völkern der Erde bis auf die neueste Zeit (Für Freunde der Sitten und Völkerkunde)"/Sechstes Kapitel: Unterschied zwischen den Versionen

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Ich habe nicht die Absicht, die neue Sitte, sich den Bart abzunehmen, die fast in ganz Europa Eingang gefunden hat, verächtlich zu machen; und ich bin nicht anmassend genug, die grossen Bärte wieder aufleben lassen zu wollen. Aber könnte man nicht gleichwohl der Meynung seyn, dass ein kunstvoll zugestutzter und beschnittener Bart, wie man ihn in den letzten zwey Jahrhunderten trug, den Gesichtern eine Phisiognomie gab, an der es ihnen seitdem ganz gebrach? Dieses Resultat der Gesichtszüge ist in der That eine der auffallendsten Eigenschaften der männlichen Bildung; es ist die Bedingung, die dem männlichen Gesicht eine Physiognomie gibt, ihr einen Charakter ertheilt. Ein vortreflicher komischer Schauspieler muss durch seine Physiognomie die Rolle ankündigen, die er vorstellen will.
Ich habe nicht die Absicht, die neue Sitte, sich den Bart abzunehmen, die fast in ganz Europa Eingang gefunden hat, verächtlich zu machen; und ich bin nicht anmassend genug, die grossen Bärte wieder aufleben lassen zu wollen. Aber könnte man nicht gleichwohl der Meynung seyn, dass ein kunstvoll zugestutzter und beschnittener Bart, wie man ihn in den letzten zwey Jahrhunderten trug, den Gesichtern eine Phisiognomie gab, an der es ihnen seitdem ganz gebrach? Dieses Resultat der Gesichtszüge ist in der That eine der auffallendsten Eigenschaften der männlichen Bildung; es ist die Bedingung, die dem männlichen Gesicht eine Physiognomie gibt, ihr einen Charakter ertheilt. Ein vortreflicher komischer Schauspieler muss durch seine Physiognomie die Rolle ankündigen, die er vorstellen will.
Wir wollen in diesem Kapitel untersuchen, wie weit man in dem Respekt und in der Ehrfurcht für den Bart gegangen ist, und wir werden zeigen, dass er in den wichtigsten Angelegenheiten der Religion und der bürgerlichen Gesellschaft bey der Vorwelt seine Rolle spielt; dass man des Glaubens gewesen ist, er diene zur Ehre der Gottheit, oder er mache sie den Menschen verehrungswürdiger. Der Bart ist lange Zeit ein Zeichen ausserordentlicher Weisheit gewesen. Er wurde bey Allianz-Traktaten ins Spiel gezogen, wurde oft verpfändet und diente als Geisel zur Versicherung seiner Treue in Absicht eingegangenere Verbindungen.
Man schwor bey dem Barte. Man strafte grosse Verbrechen, indem man Schuldigen den Bart abschneiden liess; es war ein Zeichen von Ehrlosigkeit, wenn man sich diese Zierde nehmen lassen musste. Man war überzeugt, dass nichts besser den lebhaften Schmerz, wovon man sich in Zeitpunkten von Trauer und grossem Unglück hingerissen fühlte, ausdrücken könne, als wenn man ohne Bart erschien. Alle diese Gewohnheiten machen den Gegenstand des gegenwärtigen und des folgenden Kapitels aus. Wir werden zuvörderst von dem ausserordentlichen Respect handeln, den einige Nationen für den Bart an ihren eignen Landsleuten bezeugt haben. Und so machen wir dann mit dem Bart der Philosophen den Anfang.
== II. Bart der Philosophen ==
Man war im Alterthum überzeugt, dass ein langer Bart gewöhnlich das Zeichen der Weisheit wäre, und dass ein Mann, welcher auf Strenge in seinen Sitten Anspruch mache, sich nothwendig den Bart wachsen lassen müsste. Die Schrift sagt uns, dass der hohe Priester Aaron einen langen Bart trug. Sokrates, der weiseste Sterbliche seiner Zeit, wird auf Persisch der "bärtige Lehrer" oder der Lehrer "mit dem langen Bart" genannt.
<blockquote><poem>
Satyr:
Glaube, dass dies der bärtige Meister
Sagt.
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Plinius der Jüngerespricht von Euphrates, einem Syrischen Philosophen, der sich durch die Länge und Weisse seines Barts empfahl. (Sieh das erste Buch seiner Briefe.) Strabo sagt, die Gymnosophisten, Indische Philosophen, hielten auf grösse Bärte. Dasselbe versichert Diodor von Sicilien.

Version vom 2. September 2009, 18:21 Uhr

I. Ueber den, dem Bart erzeugten Respekt
II. Bart der Philosophen
III. Respekt der Araber für ihren Bart
IV. Der Bart, von den Türken respektirt
V. Bärte, die man den heidnischen Gottheiten gab
VI. Bärte, die man den Göttern darbot

I. Ueber den Respekt, den man dem Bart erzeigt hat

Der Bart ward während vieler Jahrhunderte als der Typus oder das Kennzeichen der Weisheit angesehen; daher der Eindruck von Respekt, von Majestät und ausserordentlicher Klugheit, den lange Bärte in dem ganzen Greichischen und Römischen Alterthum machten, und den sie noch jetzt in dem geist fast alles dessen machen, was es auf der Erde von gebildeten Nationen gibt. Wer wollte es leugnen, dass uns unsere Vorfahren mit ihren Bärten weiser scheinen, als wir ohne Haar am Kinn? In der That, wenn wir in einer Gemähldegallerie auf und nieder gehen, und unsere Grossväter sehen, von denen ein grosser Theil starb, ehe er ein so hohes Alter erreicht hatte, als wir; können wir uns denn entbrechen, sie als eben so viele alte Patriarchen anzusehen, und uns selbst für junge duftende Mädchen zu halten? Ich sehe unsere Abrahame, unsere Isaake, unsere Jakobe, unsere Moses gern so, wie man sie uns auf alten Tapeten zeigt, oder wie wir sie auf alten Statuen sehen, mit einem Bart, der ihnen bis auf den Gürtel hängt und die Hälfte des ganzen Kunstwerks ausmacht.

Ich habe nicht die Absicht, die neue Sitte, sich den Bart abzunehmen, die fast in ganz Europa Eingang gefunden hat, verächtlich zu machen; und ich bin nicht anmassend genug, die grossen Bärte wieder aufleben lassen zu wollen. Aber könnte man nicht gleichwohl der Meynung seyn, dass ein kunstvoll zugestutzter und beschnittener Bart, wie man ihn in den letzten zwey Jahrhunderten trug, den Gesichtern eine Phisiognomie gab, an der es ihnen seitdem ganz gebrach? Dieses Resultat der Gesichtszüge ist in der That eine der auffallendsten Eigenschaften der männlichen Bildung; es ist die Bedingung, die dem männlichen Gesicht eine Physiognomie gibt, ihr einen Charakter ertheilt. Ein vortreflicher komischer Schauspieler muss durch seine Physiognomie die Rolle ankündigen, die er vorstellen will.

Wir wollen in diesem Kapitel untersuchen, wie weit man in dem Respekt und in der Ehrfurcht für den Bart gegangen ist, und wir werden zeigen, dass er in den wichtigsten Angelegenheiten der Religion und der bürgerlichen Gesellschaft bey der Vorwelt seine Rolle spielt; dass man des Glaubens gewesen ist, er diene zur Ehre der Gottheit, oder er mache sie den Menschen verehrungswürdiger. Der Bart ist lange Zeit ein Zeichen ausserordentlicher Weisheit gewesen. Er wurde bey Allianz-Traktaten ins Spiel gezogen, wurde oft verpfändet und diente als Geisel zur Versicherung seiner Treue in Absicht eingegangenere Verbindungen.

Man schwor bey dem Barte. Man strafte grosse Verbrechen, indem man Schuldigen den Bart abschneiden liess; es war ein Zeichen von Ehrlosigkeit, wenn man sich diese Zierde nehmen lassen musste. Man war überzeugt, dass nichts besser den lebhaften Schmerz, wovon man sich in Zeitpunkten von Trauer und grossem Unglück hingerissen fühlte, ausdrücken könne, als wenn man ohne Bart erschien. Alle diese Gewohnheiten machen den Gegenstand des gegenwärtigen und des folgenden Kapitels aus. Wir werden zuvörderst von dem ausserordentlichen Respect handeln, den einige Nationen für den Bart an ihren eignen Landsleuten bezeugt haben. Und so machen wir dann mit dem Bart der Philosophen den Anfang.

II. Bart der Philosophen

Man war im Alterthum überzeugt, dass ein langer Bart gewöhnlich das Zeichen der Weisheit wäre, und dass ein Mann, welcher auf Strenge in seinen Sitten Anspruch mache, sich nothwendig den Bart wachsen lassen müsste. Die Schrift sagt uns, dass der hohe Priester Aaron einen langen Bart trug. Sokrates, der weiseste Sterbliche seiner Zeit, wird auf Persisch der "bärtige Lehrer" oder der Lehrer "mit dem langen Bart" genannt.

Satyr:
Glaube, dass dies der bärtige Meister
Sagt.

Plinius der Jüngerespricht von Euphrates, einem Syrischen Philosophen, der sich durch die Länge und Weisse seines Barts empfahl. (Sieh das erste Buch seiner Briefe.) Strabo sagt, die Gymnosophisten, Indische Philosophen, hielten auf grösse Bärte. Dasselbe versichert Diodor von Sicilien.