Text "Die Universität: Zehn persönliche Ansichten (3)" (Franz Hohler): Unterschied zwischen den Versionen

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Aus dem <i>Journal der Universität Zürich</i> Nr. 1/96 (29.01.1996).
Aus dem <i>Journal der Universität Zürich</i> Nr. 3/96 (20.05.1996).


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<b>Die Universität: Zehn persönliche Ansichten (1)</b>
<b>Die Universität: Zehn persönliche Ansichten (3)</b>


Als ich in Aarau das Gymnasium besuchte, war es mein grösster Wunsch, so rasch wie möglich an die Universität zu gehen. Ich hatte in Zürich Cellounterricht, und oft setzte ich mich nachher noch in eine Vorlesung an der Universität, bei einem Germanisten oder Romanisten, und ich hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten, ihren Ausführungen zu folgen. Ich war 18, und es ärgerte mich, dass ich noch zwei Jahre bis zur Matur in meinem Provinzstädtchen zu absolvieren hatte und mich mit Fächern herumschlagen musste, die mich nicht interessierten, wie Chemie, Physik oder Mathematik, statt mich sofort in das Studium der Sprachen und der Literatur stürzen zu können. Mit 18 wollte ich dringend und unbedingt an der Universität studieren. Da das aber nicht ging, nutzte ich meine Zeit an der Mittelschule, so gut ich konnte, las sehr viel, begann mehr und mehr zu schreiben, machte viel Musik, spielte Theater und Kabarett, pflegte in der Schule diejenigen Fächer, die mich interessierten und schlich mich in den andern als Minimalist über die Runden. Als ich mit 20 endlich die heiligen Hallen der Universität als eingeschriebener Student betreten durfte, ging es dort drinnen doch etwas anders zu, als ich mir vorgestellt hatte. Offenbar hatte ich mir bei meinen gelegentlichen Besuchen die Rosinen herausgepickt, denn nun wurde von mir erwartet, dass ich mich in die gotische, althochdeutsche und mittelhochdeutsche Grammatik vertiefe, dass ich mich mit sprachlichen Lautverschiebungen befasse und mich an die eigentlichen Kunstwerke durch ein dichtes Unterholz von Sekundärliteratur heranpirschen solle. Das alles interessierte mich zwar schon auch, aber ich wollte mich selbst nicht verlieren dabei. Und eigentlich, denke ich rückblickend, eigentlich kam die Universität mit 20 für mich schon zu spät. Jedenfalls lief ich, wie jeder zweite Germanistikstudent, mit dem heimlichen Wunsch im Kopf herum, Dichter zu werden und von meinen eigenen Werken mit wenig Geld und viel Erfolg zu leben, oder, noch besser, mit viel Erfolg und viel Geld.
Kürzlich habe ich das Vorlesungsverzeichnis der Hochschule St.Gallen durchgeblättert. Das Hauptgebiet dieser Hochschule ist die Wirtschaft, und die Schweiz als Wirtschafts- und Finanzplatz verdanke, so hört man immer wieder, dieser Hochschule sehr viel.


Interessanterweise ist mir das auch gelungen. Als ich 22 war, bin ich im alten Heizungskeller der Universität mit einem literarisch-kabarettistischen Einmannprogramm aufgetreten, mit dem ich einen beachtlichen Erfolg hatte. Ich wurde damit an die verschiedensten Orte ausserhalb Zürichs eingeladen, auch nach Deutschland und Österreich, und beschloss, mich für ein oder zwei Semester von der Universität zu verabschieden. Ich habe mich exmatrikuliert und habe mich nie wieder immatrikuliert, und ich habe es nie bereut. Der grösste Beitrag, den die Universität an meine Entwicklung leistete, das waren nicht die 5 Semester Germanistik und Romanistik, sondern das war die Tatsache, dass mir der damalige Rektor vertrauensvoll und unbürokratisch die Bewilligung gegeben hat, diesen Heizungskeller in ein Theater zu verwandeln, und dafür bin ich heute noch dankbar. Dies ist, ich gebe es zu, nicht die Hauptaufgabe einer Universität, trotzdem habe ich gedacht, dass Sie das interessieren könnte.
Ich war beeindruckt vom Angebot an Vorlesungen und Seminarien. Mit Ehrfurcht nahm ich zur Kenntnis, auf welchen Gebieten man hier zur kompetenten Fachperson herangeschult wird. "Betriebswirtschaftliche Analyse, Unternehmungsplanung, Marktbearbeitung und Distribution", darunter konnte ich mir einigermassen etwas vorstellen.
 
Bei "Objektorientierter Programmierung, Nichtlineare Entscheidungsmodelle, Asymmetrische Informationen" hatte ich schon mehr Mühe. Am leichtesten vorstellen konnte ich mir, was man in den Kursen "Führung und Organisation, Grundlagen der Personalentwicklung und Teamentwicklung" lernt.
 
Diese Kurse sind wahrscheinlich am schlechtesten besucht, denn in letzter Zeit habe ich immer wieder Menschen kennengelernt, welche die Stelle wechselten, weil sie ihre jungen Vorgesetzten nicht ertrugen, die von ebendieser Hochschule kamen. Sie müssen dort zwar einiges gelernt, aber dabei auch einige wichtige Fragen an den Mitmenschen vergessen haben, z. B. die Frage "Wie geht's?". Vielleicht gehen die Hochschulen davon aus, dass Fragen dieser Art zur normalen menschlichen Grundausstattung gehören, und dass sie mit ihren Kursen ein paar Stufen höher beginnen können.
 
Das ist falsch. Inzwischen gibt es bereits einen Fachausdruck für das Demütigen und Beleidigen von Menschen, die einem als Untergebene nicht genehm sind ­ er klingt seltsam amerikanisch und heisst mobbing.
 
Einige dieser Untergebenen, die ich kenne, bleiben allerdings trotzdem, weil ihnen die Arbeit eigentlich gefällt. Aber sie bekommen Ausschläge, Fieber, Migräne, Brechreiz, und wenn ich dem PR-Beauftragten der Hochschule St.Gallen sagen würde, was sie von seiner Hochschule halten, würde er erbleichen.
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Version vom 10. April 2009, 18:28 Uhr

Aus dem Journal der Universität Zürich Nr. 3/96 (20.05.1996).

Urheber

Autor Franz Hohler
Texttitel Die Universität: Zehn persönliche Ansichten
Untertitel 3
Sprache Deutsch
Veröffentlichung
Datum Autor Format Titel Herausgeber Anmerkungen
1996.05.20 Franz Hohler Zeitschrift In: Journal der Universität Zürich Nr. 3/96 CH:

Originaltext

Die Universität: Zehn persönliche Ansichten (3)

Kürzlich habe ich das Vorlesungsverzeichnis der Hochschule St.Gallen durchgeblättert. Das Hauptgebiet dieser Hochschule ist die Wirtschaft, und die Schweiz als Wirtschafts- und Finanzplatz verdanke, so hört man immer wieder, dieser Hochschule sehr viel.

Ich war beeindruckt vom Angebot an Vorlesungen und Seminarien. Mit Ehrfurcht nahm ich zur Kenntnis, auf welchen Gebieten man hier zur kompetenten Fachperson herangeschult wird. "Betriebswirtschaftliche Analyse, Unternehmungsplanung, Marktbearbeitung und Distribution", darunter konnte ich mir einigermassen etwas vorstellen.

Bei "Objektorientierter Programmierung, Nichtlineare Entscheidungsmodelle, Asymmetrische Informationen" hatte ich schon mehr Mühe. Am leichtesten vorstellen konnte ich mir, was man in den Kursen "Führung und Organisation, Grundlagen der Personalentwicklung und Teamentwicklung" lernt.

Diese Kurse sind wahrscheinlich am schlechtesten besucht, denn in letzter Zeit habe ich immer wieder Menschen kennengelernt, welche die Stelle wechselten, weil sie ihre jungen Vorgesetzten nicht ertrugen, die von ebendieser Hochschule kamen. Sie müssen dort zwar einiges gelernt, aber dabei auch einige wichtige Fragen an den Mitmenschen vergessen haben, z. B. die Frage "Wie geht's?". Vielleicht gehen die Hochschulen davon aus, dass Fragen dieser Art zur normalen menschlichen Grundausstattung gehören, und dass sie mit ihren Kursen ein paar Stufen höher beginnen können.

Das ist falsch. Inzwischen gibt es bereits einen Fachausdruck für das Demütigen und Beleidigen von Menschen, die einem als Untergebene nicht genehm sind ­ er klingt seltsam amerikanisch und heisst mobbing.

Einige dieser Untergebenen, die ich kenne, bleiben allerdings trotzdem, weil ihnen die Arbeit eigentlich gefällt. Aber sie bekommen Ausschläge, Fieber, Migräne, Brechreiz, und wenn ich dem PR-Beauftragten der Hochschule St.Gallen sagen würde, was sie von seiner Hochschule halten, würde er erbleichen.