Helmut Salzinger: Unterschied zwischen den Versionen
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{{country1|DE}} Deutscher Schriftsteller ; geboren 1935 in Essen, gestorben 3. Dezember 1993 in Odisheim | [[image:helmutsalzinger199310_01.jpg|right|thumb|300px|Helmut Salzinger Mitte Oktober 1993. - <i>Foto:</i> Michael Kellner]] | ||
{{country1|DE}} Deutscher Rockkritiker und Schriftsteller ; geboren 1935 in Essen (Nordrhein-Westfalen), gestorben 3. Dezember 1993 in Odisheim (Niedersachsen) | |||
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<b>Helmut Salzinger</b> wurde in Essen mitten im Rurgebiet geboren und war ein typischer Stadtjunge: Landaufenthalte langweilten ihn, Gartenarbeit verabscheute er. Nach dem Besuch des Helmholtz-Gymnasiums begann er in Köln ein Studium der Volks- und Betriebswirtschaft, wechselte aber bereits nach einem Jahr in die Abteilung Literatur- und Theaterwissenschaften nach Hamburg. 1967 promovierte er in Germanistik über die künstlerische Entwicklung des Kritikers [http://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Gottlob_Winkler Eugen Gottlob Winkler] (1912-1936). Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen begann der ursprüngliche Jazz-Purist Salzinger als Hippie und entschiedener Vertreter der hedonistischen Linken aufzutreten. Schon seit 1966 schrieb er als Buchrezensent und Musikkritiker unter anderem für den <i>Spiegel</i>, die <i>Frankfurter Rundschau</i> und das Feuilleton von <i>Die Zeit</i>. | |||
Es sind seine Konzerberichte, Platten- und Buchbesprechungen, die ihn bekannt machen - Artikel über Jefferson Airplane, Grateful Dead, immer wieder die [[Rolling Stones]], Frank Zappa, die Fugs, Andy Wolfe, Tom Wolfe, Rolf Dieter Brinkmann und andere. Getreu [http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Benjamin Walter Benjamin] nutzte er die Literatur- und Musikrezension zur Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Wenig später landete er, bereits den [[Rolling Stones]] verfallen, bei <i>Konkret</i> und schrieb dort 1968 einen Text über die "Scheiss-Beatles". Die Beatles hassen? Salzinger konnte das. Sein Versuch, sich als Poplyriker in die Tradition der Gegenkultur einzureihen scheiterte. <i>Das lange Gedicht</i> (1970) blieb sein einziger Versuch: Eine aufgesetzt delirante, Allen Ginsbergs <i>Howl</i> (1956) hinterherhechelnde Beschwörung der "lange erwarteten lange gefürchteten lange verhinderten lange schon fälligen Revolution", die er jetzt mit Hilfe "von heissen kreischenden jaulenden pfeifenden zischenden schnarrenden raschelnden schlürfenden gurgelnden sprechenden hustenden heulenden keuchenden krächzenden stöhnenden aufgedrehten überdrehten Verstärkern" in die Tat umsetzen wollte. Als er jedoch im Sommer 1970 zu vermehrten Schwarzpressungen unveröffentlichen Musikmaterials aufrief, verlangte die Redaktion von <i>Die Zeit</i>, er solle sich entweder anpassen oder gehen. Er ging. | |||
Bereits Ende der 1960er Jahre war Salzinger aufs Land gezogen, zuerst nach Nartum (Niedersachsen), bald darauf ins Dorf Odisheim zwischen Elbe- und Wesermündung, wo er zusammen mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester, den Rest seines Lebens verbrachte. | |||
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ich hör jetzt auf / ich steig jetzt aus / ich fang jetzt an / steig aus / jetzt. | |||
Sein Buch "Rock-Power" ist zusammengesetzt als eine große Textcollage aus unterschiedlichen Quellen zum Thema Rock-Musik, Subkultur und Revolution: Konzertberichte, Interviews mit Musikern, Zitate linker Philosophen, Statements, Pamphlete, Songtexte, Analysen, persönliche Aussagen... Salzinger verdiente sein Geld als Musikjournalist und hat das Werk aus einer Masse von qualitativ hochwertigem und signifikantem Material zusammengestellt. In "Rock-Power", der Collage, sind die Zitate wie Schnipsel um das Thema, seine zentrale Frage im Mittelpunkt herum arrangiert. | |||
Mick Jagger sagt: Der Jammer mit John Lennon ist, daß er nie Marx gelesen hat; und die ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin von Dönhoff meint: die Rock'n'Roll-Revolution war die größte - unblutige - Revolution des 20sten Jahrhunderts, in ihrer alle Bereiche des Lebens umfassenden Bedeutung der Französischen Revolution durchaus vergleichbar; (Salzingers Kommentar: die Gräfin spinnt); Timothy Leary ist der Auffassung: Alles was das Bewußtsein verändert, ist eine Bedrohung der etablierten Ordnung; und David Cosby bekennt sich zum Leben nach dem Untergang der Wohlstands- und Konsumkultur: Wenn die Bank niedergebrannt wird, dann hab ich immer noch meine zwei Hände und ich habe keine Angst davor. Ich hab das schon gemacht, oft genug. Ich hab mir meine eigenen Fische gefangen und hab sie ausgenommen und sauber gemacht und sie gekocht. Es ist nicht so, als ob ich etwas gegen die Zivilisation hätte. Ich hab nichts dagegen, und ich will nicht, daß sie kaputt gemacht wird. Aber ich möchte dieses politische System kaputt machen. Mann. | |||
Und dann sagt Mick Jagger wiederum: Die jungen Leute können nicht die Führer finden, die sie suchen, und bitten uns daher, die Führung zu übernehmen. Wir müssen sie enttäuschen. Wir wollen niemals ihre politischen Führer sein. | |||
Die dialektische Schlußfolgerung, die Salzinger in dem Collagenwerk "Rock-Power" schließlich zieht, klingt sehr vorsichtig und kann doch auch als Versuch gelesen werden, bei aller Vorsicht einen unangreifbaren Kern des Rock'n'Rolls zu bewahren. Es gibt etwas, das uns die Musiker geben kann, das kann uns keine Plattenfirma nehmen - aber auch keine Revolution je verwirklichen: der ideelle Überschuss in der Kunst. | |||
Rockmusik kann politische Realitäten nicht direkt verändern. Aber sie kann vielleicht beitragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ein Gitarrensolo von Keith Richard oder Ron Wood vermag ein Maß an Trauer und Aggression, Dynamik und Melancholie im Hörer freizusetzen, das mehr bewirken kann als jeder noch so aktivistische Text. Rockmusik kann gesellschaftliche Zwänge nicht aufheben, aber sie zumindest bewußt machen. Sie kann ein Klima schaffen, in dem Befreiung eher möglich wird. | |||
Bei einem Rockkonzert am Ende der 60er Jahre musste er sich eine Insulinspritze verpassen und wurde von Polizisten fälschlicherweise verhaftet, weil sie ihn für einen Junkie hielten. (So sah er auch aus: dünn, ausgemergelt, lange schwarze fettige Haare, hageres Gesicht...) Da wurde ihm klar, daß die Großstadt nicht gesund für ihn ist. Zusammen mit Mo, seiner Frau, zog er aufs Land, nach Odisheim, einem kleinen Dorf im norddeutschen Moorland bei Bremerhaven. Dort haben sie ein Häuschen, und um das Häuschen herum ein kleines Grundstück und ansonsten viel Regen und Wind. | |||
Von circa 1984 bis 1988 trafen sich bei Helmut Salzinger auf dem Dorf die Literaten der Head Farm Odisheim. | |||
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Sein Buch <i>Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?</i> (1972) gehört zu den ersten wesentlichen Büchern zum Thema Popkultur im deutschen Sprachraum. Salzinger analysierte darin die Musik-, Design-, Kunst-Welt und ihre nur dialektisch zu fassenden Verkaufsstrategien und Wirksamkeiten von Rockmusik als einen die Gesellschaft verändernden Prozess. Er brachte ihre bis heute vorhandene Doppelbödigkeit durch einen ironisch-verzweifelten Blick zur Sprache: "Woodstock Nation bedeutet Verweigerung, bedeutet Abkehr, bedeutet Subversion. Woodstock Nation bedeutet den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft, mit ihren Gesetzen, Traditionen, Werten und Normen." Die Text-Collage <i>Swinging Benjamin</i> (1973) war Salzingers Versuch, das Brisante an Walter Benjamins Denken vor dem akademischen Kühlschrank zu bewahren und einer breiten Leserschaft neu zugänglich zu machen. Von 1973-1975 schrieb er unter dem Pseudonym "Jonas Überohr" Kolumnen für die Hamburger Musikzeitschrift <i>Sounds</i>. | |||
Ab Mitte der 1970er Jahre begann er seine Laufbahn als Kritiker aufzugeben und lebte nach dem Vorbild von MC5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammen. Der Versuch schlug allerdings fehl, da sich die Gruppe bald als "hin und her flippender Haufen von Egomaniacs" herausstellte, der sich "zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat", sodass Salzinger sie schliesslich hinauswarf und einen Schlussstrich zog. "Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt", schrieb er Trikont-Chef Achim Bergmann. "Ich widerrufe meine Hoffnungen." | |||
Im März 1981 veröffentlichte er in <i>Sounds</i> ein letztes Mal einen Beitrag als "Jonas Überohr" - eine harsche Polemik gegen die "gefrässige Generation" der "jungen Achtziger". Er verurteilt den vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstand, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Als einzig wahre Revolution preist er eine anti-konsumistische, nämlich den Verzicht "auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloss zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht." Abschliessend bedauert er, dass "die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Gross-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bisschen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweissfüsse gäb's nicht." <i>Sounds</i> veröffentlichte Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem sich die Zeitschrift deutlich davon distanzierte: Der Text zeige, wie die Überlegungen "ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute" allein "dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischiessen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute 'ausgeklinkt' haben." Wer "sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen - auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung." | |||
Salzinger focht das nicht an. Irgendwann erbte er dann eines oder mehrere Häuser in Hamburg, von deren Mieteinnahmen er fortan lebte. In seinem eigenen Bauernhaus zog er sich radikal vom Kulturbetrieb zurück. Neue Grundlage seines Lebens bildete eine ökologisch orientierte Lebensweise. Zusammen mit seiner malenden Frau Mo gründete er das alternative Kulturzentrum "Head Farm Odisheim", das zu Treffen von Literaten und Künstlern der alternativen Szene (darunter Bert Brune, Hadayatullah Hübsch, Theo Köppen, Klaus Modick, Peer Schröder) genutzt wurde. Salzinger nannte das Haus einmal "Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht". Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen Wahnsinns, verfolgte vom Garten aus den Vogelflug, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg - in drei Büchern, die <i>Ohne Menschen</i> (1988), <i>Der Gärtner im Dschungel</i> (1992) und <i>Moor</i> (1996) hiessen. | |||
Von 1984-1987 gab er zusammen mit Mo und anderen monatlich die Literaturzeitschrift <i>Falk</i> heraus: Die Themenvielfalt reichte von "Bioregionalismus", Buddhismus und Ethnopoesie über Texte unbekannter Dichter und einige Autorenhefte bis zu Walt Whitmans Tagebüchern, Hölderlins Wahnsinnsgedichten und einer Dokumentation über Rainer Maria Gerhardts verschüttetes Werk und seine in die Zukunft weisende Zeitschrift <i>Fragmente</i>. Mit seinem eigenen Verlag Head Farm Odisheim machte sich Salzinger von den grossen Verlagen unabhängig. Hier erschienen eine Reihe seiner Gedichtbände, die ihn als eigenwillige Stimme in der Lyrik der 1970er und 1980er Jahre erkennen lassen. Florian Vetsch: "Helmut Salzinger repräsentierte wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Wolf Wondratschek, Jürgen Ploog oder Hadayatullah Hübsch die erste deutsche Beat Generation; und Salzinger tut dies auf eine ganz besondere Art, baute er doch den ökologischen Ansatz der ursprünglich US-amerikanischen Bewegung in seiner Poesie, seiner autobiographischen und erzählenden Prosa sowie in seinem theoretischen Werk vielfältig und unverwechselbar aus." | |||
Helmut Salzinger litt schon seit langem an der Zuckerkrankheit und musste jahrelang zweimal die Woche nach Cuxhaven zur Blutreinigung gefahren werden, bis ihm dann in Odisheim ein Blutaustauschgerät zur Verfügung stand. Am 3. Dezember 1993 erlag er 57-jährig seinem langen Leiden. In seinem Nachlass fanden sich noch zahlreiche Gedichte, Essays und autobiografische Prosa. Nach seinem Tod zog Mo Salzinger 1999 nach Ostheim vor der Rhön (Bayern), wo sie im März 2001 bei einem häuslichen Unfall starb. "Sie liebte das Leben sehr", hiess es in ihrer Todesanzeige. Das von ihr mitgebrachte Archiv von Helmut Salzinger wird nun vom dort lebenden Cut-Up-Texter und Verleger Peter Engstler verwaltet. | |||
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Aktuelle Version vom 20. Februar 2010, 00:39 Uhr
Deutscher Rockkritiker und Schriftsteller ; geboren 1935 in Essen (Nordrhein-Westfalen), gestorben 3. Dezember 1993 in Odisheim (Niedersachsen)
Bibliografie | Diskografie | Galerie | Weblinks |
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Helmut Salzinger wurde in Essen mitten im Rurgebiet geboren und war ein typischer Stadtjunge: Landaufenthalte langweilten ihn, Gartenarbeit verabscheute er. Nach dem Besuch des Helmholtz-Gymnasiums begann er in Köln ein Studium der Volks- und Betriebswirtschaft, wechselte aber bereits nach einem Jahr in die Abteilung Literatur- und Theaterwissenschaften nach Hamburg. 1967 promovierte er in Germanistik über die künstlerische Entwicklung des Kritikers Eugen Gottlob Winkler (1912-1936). Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen begann der ursprüngliche Jazz-Purist Salzinger als Hippie und entschiedener Vertreter der hedonistischen Linken aufzutreten. Schon seit 1966 schrieb er als Buchrezensent und Musikkritiker unter anderem für den Spiegel, die Frankfurter Rundschau und das Feuilleton von Die Zeit.
Es sind seine Konzerberichte, Platten- und Buchbesprechungen, die ihn bekannt machen - Artikel über Jefferson Airplane, Grateful Dead, immer wieder die Rolling Stones, Frank Zappa, die Fugs, Andy Wolfe, Tom Wolfe, Rolf Dieter Brinkmann und andere. Getreu Walter Benjamin nutzte er die Literatur- und Musikrezension zur Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Wenig später landete er, bereits den Rolling Stones verfallen, bei Konkret und schrieb dort 1968 einen Text über die "Scheiss-Beatles". Die Beatles hassen? Salzinger konnte das. Sein Versuch, sich als Poplyriker in die Tradition der Gegenkultur einzureihen scheiterte. Das lange Gedicht (1970) blieb sein einziger Versuch: Eine aufgesetzt delirante, Allen Ginsbergs Howl (1956) hinterherhechelnde Beschwörung der "lange erwarteten lange gefürchteten lange verhinderten lange schon fälligen Revolution", die er jetzt mit Hilfe "von heissen kreischenden jaulenden pfeifenden zischenden schnarrenden raschelnden schlürfenden gurgelnden sprechenden hustenden heulenden keuchenden krächzenden stöhnenden aufgedrehten überdrehten Verstärkern" in die Tat umsetzen wollte. Als er jedoch im Sommer 1970 zu vermehrten Schwarzpressungen unveröffentlichen Musikmaterials aufrief, verlangte die Redaktion von Die Zeit, er solle sich entweder anpassen oder gehen. Er ging.
Bereits Ende der 1960er Jahre war Salzinger aufs Land gezogen, zuerst nach Nartum (Niedersachsen), bald darauf ins Dorf Odisheim zwischen Elbe- und Wesermündung, wo er zusammen mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester, den Rest seines Lebens verbrachte.
Sein Buch Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution? (1972) gehört zu den ersten wesentlichen Büchern zum Thema Popkultur im deutschen Sprachraum. Salzinger analysierte darin die Musik-, Design-, Kunst-Welt und ihre nur dialektisch zu fassenden Verkaufsstrategien und Wirksamkeiten von Rockmusik als einen die Gesellschaft verändernden Prozess. Er brachte ihre bis heute vorhandene Doppelbödigkeit durch einen ironisch-verzweifelten Blick zur Sprache: "Woodstock Nation bedeutet Verweigerung, bedeutet Abkehr, bedeutet Subversion. Woodstock Nation bedeutet den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft, mit ihren Gesetzen, Traditionen, Werten und Normen." Die Text-Collage Swinging Benjamin (1973) war Salzingers Versuch, das Brisante an Walter Benjamins Denken vor dem akademischen Kühlschrank zu bewahren und einer breiten Leserschaft neu zugänglich zu machen. Von 1973-1975 schrieb er unter dem Pseudonym "Jonas Überohr" Kolumnen für die Hamburger Musikzeitschrift Sounds.
Ab Mitte der 1970er Jahre begann er seine Laufbahn als Kritiker aufzugeben und lebte nach dem Vorbild von MC5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammen. Der Versuch schlug allerdings fehl, da sich die Gruppe bald als "hin und her flippender Haufen von Egomaniacs" herausstellte, der sich "zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat", sodass Salzinger sie schliesslich hinauswarf und einen Schlussstrich zog. "Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt", schrieb er Trikont-Chef Achim Bergmann. "Ich widerrufe meine Hoffnungen."
Im März 1981 veröffentlichte er in Sounds ein letztes Mal einen Beitrag als "Jonas Überohr" - eine harsche Polemik gegen die "gefrässige Generation" der "jungen Achtziger". Er verurteilt den vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstand, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Als einzig wahre Revolution preist er eine anti-konsumistische, nämlich den Verzicht "auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloss zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht." Abschliessend bedauert er, dass "die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Gross-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bisschen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweissfüsse gäb's nicht." Sounds veröffentlichte Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem sich die Zeitschrift deutlich davon distanzierte: Der Text zeige, wie die Überlegungen "ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute" allein "dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischiessen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute 'ausgeklinkt' haben." Wer "sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen - auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung."
Salzinger focht das nicht an. Irgendwann erbte er dann eines oder mehrere Häuser in Hamburg, von deren Mieteinnahmen er fortan lebte. In seinem eigenen Bauernhaus zog er sich radikal vom Kulturbetrieb zurück. Neue Grundlage seines Lebens bildete eine ökologisch orientierte Lebensweise. Zusammen mit seiner malenden Frau Mo gründete er das alternative Kulturzentrum "Head Farm Odisheim", das zu Treffen von Literaten und Künstlern der alternativen Szene (darunter Bert Brune, Hadayatullah Hübsch, Theo Köppen, Klaus Modick, Peer Schröder) genutzt wurde. Salzinger nannte das Haus einmal "Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht". Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen Wahnsinns, verfolgte vom Garten aus den Vogelflug, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg - in drei Büchern, die Ohne Menschen (1988), Der Gärtner im Dschungel (1992) und Moor (1996) hiessen.
Von 1984-1987 gab er zusammen mit Mo und anderen monatlich die Literaturzeitschrift Falk heraus: Die Themenvielfalt reichte von "Bioregionalismus", Buddhismus und Ethnopoesie über Texte unbekannter Dichter und einige Autorenhefte bis zu Walt Whitmans Tagebüchern, Hölderlins Wahnsinnsgedichten und einer Dokumentation über Rainer Maria Gerhardts verschüttetes Werk und seine in die Zukunft weisende Zeitschrift Fragmente. Mit seinem eigenen Verlag Head Farm Odisheim machte sich Salzinger von den grossen Verlagen unabhängig. Hier erschienen eine Reihe seiner Gedichtbände, die ihn als eigenwillige Stimme in der Lyrik der 1970er und 1980er Jahre erkennen lassen. Florian Vetsch: "Helmut Salzinger repräsentierte wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Wolf Wondratschek, Jürgen Ploog oder Hadayatullah Hübsch die erste deutsche Beat Generation; und Salzinger tut dies auf eine ganz besondere Art, baute er doch den ökologischen Ansatz der ursprünglich US-amerikanischen Bewegung in seiner Poesie, seiner autobiographischen und erzählenden Prosa sowie in seinem theoretischen Werk vielfältig und unverwechselbar aus."
Helmut Salzinger litt schon seit langem an der Zuckerkrankheit und musste jahrelang zweimal die Woche nach Cuxhaven zur Blutreinigung gefahren werden, bis ihm dann in Odisheim ein Blutaustauschgerät zur Verfügung stand. Am 3. Dezember 1993 erlag er 57-jährig seinem langen Leiden. In seinem Nachlass fanden sich noch zahlreiche Gedichte, Essays und autobiografische Prosa. Nach seinem Tod zog Mo Salzinger 1999 nach Ostheim vor der Rhön (Bayern), wo sie im März 2001 bei einem häuslichen Unfall starb. "Sie liebte das Leben sehr", hiess es in ihrer Todesanzeige. Das von ihr mitgebrachte Archiv von Helmut Salzinger wird nun vom dort lebenden Cut-Up-Texter und Verleger Peter Engstler verwaltet.