Text "Das letzte Jahrzehnt" (Franz Hohler): Unterschied zwischen den Versionen
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Ein Tier wird geschlachtet. Es sieht aus wie eine Riesenschildkröte ohne Panzer. Ach, wie weich es ist, und wie man sein Skelett sieht, über das sich das Fleisch spannt. Während der Schlächter einzelne Teile herausschneidet, beginnt das Tier zu rufen, mit leiser, aber deutlicher Stimme: "Bitte nicht!", zu wiederholten Malen. Der Schlächter, unbeirrt, trennt ihm weitere Teile ab, schneidet ihm ins Weiche, hackt Knochen mit kurzen Hieben durch. Nun wendet er sich einen Moment ab, um das gewonnene Fleisch hinzulegen. Ich hoffe, das Tier sei tot. Da richtet es sich nochmals halb auf, wimmernd, und bittet um Schonung. Gelähmt stehe ich daneben, erschreckt über mich selber. Bin ich dem Schlächter in den Arm gefallen? Habe ich andere zu dem leidenden Wesen gerufen, damit wir ihm gemeinsam hülfen? Während ich noch immer dastehe, wächst in mir der Verdacht, das Tier könnte ein Mensch sein. | Ein Tier wird geschlachtet. Es sieht aus wie eine Riesenschildkröte ohne Panzer. Ach, wie weich es ist, und wie man sein Skelett sieht, über das sich das Fleisch spannt. Während der Schlächter einzelne Teile herausschneidet, beginnt das Tier zu rufen, mit leiser, aber deutlicher Stimme: "Bitte nicht!", zu wiederholten Malen. Der Schlächter, unbeirrt, trennt ihm weitere Teile ab, schneidet ihm ins Weiche, hackt Knochen mit kurzen Hieben durch. Nun wendet er sich einen Moment ab, um das gewonnene Fleisch hinzulegen. Ich hoffe, das Tier sei tot. Da richtet es sich nochmals halb auf, wimmernd, und bittet um Schonung. Gelähmt stehe ich daneben, erschreckt über mich selber. Bin ich dem Schlächter in den Arm gefallen? Habe ich andere zu dem leidenden Wesen gerufen, damit wir ihm gemeinsam hülfen? Während ich noch immer dastehe, wächst in mir der Verdacht, das Tier könnte ein Mensch sein. | ||
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Aktuelle Version vom 6. Februar 2010, 13:30 Uhr
Autor | Franz Hohler |
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Texttitel | Das letzte Jahrzehnt |
Sprache | deu |
Textform | Geschichte |
Veröffentlichung | 1991 |
Das letzte Jahrzehnt
Ein Tier wird geschlachtet. Es sieht aus wie eine Riesenschildkröte ohne Panzer. Ach, wie weich es ist, und wie man sein Skelett sieht, über das sich das Fleisch spannt. Während der Schlächter einzelne Teile herausschneidet, beginnt das Tier zu rufen, mit leiser, aber deutlicher Stimme: "Bitte nicht!", zu wiederholten Malen. Der Schlächter, unbeirrt, trennt ihm weitere Teile ab, schneidet ihm ins Weiche, hackt Knochen mit kurzen Hieben durch. Nun wendet er sich einen Moment ab, um das gewonnene Fleisch hinzulegen. Ich hoffe, das Tier sei tot. Da richtet es sich nochmals halb auf, wimmernd, und bittet um Schonung. Gelähmt stehe ich daneben, erschreckt über mich selber. Bin ich dem Schlächter in den Arm gefallen? Habe ich andere zu dem leidenden Wesen gerufen, damit wir ihm gemeinsam hülfen? Während ich noch immer dastehe, wächst in mir der Verdacht, das Tier könnte ein Mensch sein.
Versionen
Datum | Autor | Format | Titel | Verlag | Anmerkungen |
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1991 | Franz Hohler | Buch | Der Mann auf der Insel | xx: |