Text "Der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert (Elvis Presleys 30. Todestag)" (Florian Harms)

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Autor Florian Harms
Texttitel Der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert
Untertitel Elvis Presleys 30. Todestag
Sprache Deutsch
Textform
Veröffentlichung 2007.08.13 Spiegel online

Text

Elvis Presleys 30. Todestag

Der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert

Vor 30 Jahren starb Elvis Presley. Sänger Stephan Remmler ("Da da da") war Augenzeuge, als der "King" 1958 nach Deutschland kam, um seinen Militärdienst zu leisten. Im Gespräch mit Spiegel Online erklärt er den Welterfolg Presleys - und seinen Absturz.

Zur Person

Stephan Remmler wurde am 25.10.1946 in Witten/Ruhr geboren und wuchs in Bremerhaven auf. Dort war er 1958 Augenzeuge, als Elvis Presley von einem US-Kriegsschiff an Land ging, um in Deutschland seinen Militärdienst zu leisten. Remmler begeisterte sich schon in seiner frühen Jugend für den Rock'n'Roll und spielte Ende der Sechziger Jahre im legendären Hamburger Star-Club.

Anfang 1980 gründete Remmler mit Kralle Krawinkel und Peter Behrens die Band Trio, die als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Neuen Deutschen Welle galt und mit Hits wie "Anna - lassmichrein lassmichraus" und "Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha" Erfolge feierte.

Nachdem Trio sich 1985 aufgelöst hatte, startete Remmler eine Solo-Karriere. Zuletzt veröffentlichte er das Album 1, 2, 3, 4.... Stephan Remmler lebt mit seiner Frau und zweien seiner drei Söhne in Basel und auf Lanzarote.

Quelle: www.stephan-remmler.de

Spiegel online: Herr Remmler, offiziell starb Elvis Presley am 16. August 1977. Tausende von Fans sind jedoch überzeugt, dass der "King" in Wahrheit an einem geheimen Ort lebt und sich von Zeit zu Zeit in der Öffentlichkeit zeigt. Lebt Elvis oder ist er tot?

Remmler: (lacht) Ich glaube, dass Elvis tot ist.

Spiegel online: So richtig hundertprozentig tot?

Remmler: Physisch ist er tot, ja. Glaube ich zumindest. Ich habe keine Untersuchungen angestellt.

Spiegel online: Gut, er ist also tot. Gibt es etwas von Elvis, das überlebt hat?

Remmler: In der Musik lebt er noch. Er war schliesslich der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert.

Spiegel online: Elvis?

Remmler: Natürlich.

Spiegel online: Was hat er denn erneuert?

Remmler: Die Jugendkultur! Seine Botschaft war die jugendliche Rebellion. Eigentlich wäre das nichts Neues gewesen, weil die in jeder Generation stattfindet. Aber bei Elvis war sie erstmals mit Musik verbunden. Zum ersten Mal war Musik etwas, das den Jugendlichen gehörte und worüber ihre Eltern den Kopf schüttelten.

Spiegel online: Sie waren mittendrin in der Bewegung: Am 1. Oktober 1958 legte das amerikanische Kriegsschiff "USS General Randall" in Bremerhaven an, und Elvis Presley ging von Bord, um in Deutschland seinen Militärdienst zu leisten. Am Kai warteten Hunderte deutscher Fans. Einer davon waren Sie.

Deutsche Fans bei Elvis' Ankunft in Bremerhaven am 1. Oktober 1958: Zeitzeuge Stephan Remmler ist der Junge in der schwarzen Lederhose in der Mitte

Remmler: Ich war dabei! Mit mehreren Schulfreunden. Es waren gerade Ferien oder wir haben geschwänzt, weiss ich nicht mehr genau. Was ich aber noch weiss: Ich hatte Lederhosen und Sandalen an. Mit elf Jahren war ich einer der Jüngsten.

Spiegel online: Was war das für ein Moment: Ging er schnell vorbei oder mussten Sie lange auf Elvis warten?

Remmler: Wir haben lange gewartet. Die Soldaten standen oben an der Reling und zeigten immer wieder auf einen von ihnen. Dann haben wir jedes Mal angefangen zu schreien. Ob das wirklich Elvis war, wussten wir nicht, vielleicht haben die sich einfach einen Spass daraus gemacht. Dann wurden wir von Polizisten abgedrängt. Es gibt ein schönes Bild davon: Ein amerikanischer Militärpolizist und ein deutscher Polizist halten Hand in Hand die Fans zurück - und genau in der Mitte zwischen den beiden stehe ich.

Spiegel online: Ein erhebendes Erlebnis?

Remmler: Das war schon was.

Spiegel online: Was geschah dann?

Remmler: Elvis ging mit seinem Seesack von Bord, aber nur einer der Fans hat es geschafft, an die Gangway vorzustossen und sich ein Autogramm zu holen. Elvis lief zum Zug und wir hinterher. Wir sind am Zug entlang gerannt. Ich glaube, er kam dann noch mal an die Tür und hat gewinkt. Aber ob ich ihn wirklich gesehen habe? Da bin ich mir gar nicht sicher. Das hatte alles eine enorme Gruppendynamik: Alle guckten hierhin, dann plötzlich dorthin. Dann fuhr der Zug ab.

Spiegel online: War das Erlebnis damit für Sie abgeschlossen oder haben Sie Elvis' Zeit in Deutschland danach weiterverfolgt?

Remmler: Die Bravo berichtete eine Zeitlang darüber: Dass Elvis in Bad Nauheim in Hessen lebte, dass er ausging, sein eigenes Haus hatte und nicht in der Kaserne wohnte. Aber wichtiger als Elvis' Aufenthalt in Deutschland war für mich meine Initiation durch "Heartbreak Hotel".

Spiegel online: Eine Initiation durch eine Musik-Single?

Remmler: Ja. Das war der Anfang, dadurch wurde ich zu einem Rock'n'Roller.

Spiegel online: Die Platte hatten Sie gekauft?

Remmler: Nein, nein! Die habe ich von meinen Grosseltern geschenkt bekommen. Die hatten ein Kino und holten vom Plattenladen immer die Musik, die vor der Vorstellung lief. Eines Tages, als ich bei ihnen zu Besuch war, schenkte mir meine Grossmutter die Platte "Und der Haifisch, der hat Zähne"...

Spiegel online: ...aus der Dreigroschenoper...

Remmler: ...von Lotte Lenya gesungen. Aber das hat mich nicht sehr beeindruckt und ich fragte, ob ich die Platte umtauschen könne. Das durfte ich, weil meine Grosseltern gute Beziehungen zu dem Mann im Plattenladen hatten. Also bin ich hin und habe mir von Elvis "Heartbreak Hotel" geholt. Das war es. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben. Ich hatte zwar auch vorher schon mit Musik zu tun und habe Schlager nachgesungen. Aber das war etwas anderes. Der Anfang einer ganz wichtigen Zeit in meinem Leben.

Spiegel online: Was haben Sie empfunden, als Sie den Song zum ersten Mal hörten?

Remmler: Die Platte war ja nicht so hart wie die späteren, wo die Zwei und die Vier von der Snare...

Spiegel online: ...der zweite und der vierte Schlag auf die Kettentrommel...

Remmler: ...wo die viel härter waren. Die Platte war recht langsam. Aber diese ungewöhnliche Art zu singen, mit diesem o-ho, o-ho, o-ho, weisst du? Dieses u-hu, u-hu u-uhuu! Das war Elektrizität. So etwas hatten wir vorher in den Schlagern nie gehört. Ich habe das dann ständig nachgesungen, ohne den englischen Text zu verstehen oder richtig aussprechen zu können. Rein phonetisch. Von allen damaligen Rock'n'Rollern - Little Richard, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly, Chuck Berry - war Elvis eindeutig der Heisseste. Er war der Universellste. Auch die anderen fand ich toll, aber wenn Elvis lächelte oder die Lippe hochzog: Da kamen die anderen einfach nicht ran.

Spiegel online: Aber Elvis wurde oft vorgeworfen, er "schnulze" nur, während die anderen rockten. Was war denn so aussergewöhnlich an seiner Stimme?

Remmler: Das war einfach pure Musikalität, verbunden mit Rebellion. Auch Pavarotti ist pure Musikalität, aber eben ohne Rebellion. Die frühen Elvis-Aufnahmen, die Sun Records: Die sind fantastisch. Da war in den Kompositionen noch nichts von Mainstream zu hören. Das war nur sein persönliches Umfeld mit ein bisschen Country, ein bisschen Schwarzen-Musik und ein bisschen Gospel, ohne jede Anbiederung. Später hat sich das geändert, da hat er alles gesungen, auch diese Schnulzen.

Spiegel online: Sie haben mal gesagt: "Will man in der Popmusik Erfolg haben, muss man Eindeutigkeit an den Tag legen, denn Pop hat viel mit Identifikation zu tun. Vielschichtigkeit ist einer Karriere nicht selten abträglich."

Remmler: Das gilt auch für Elvis. Er ist mit seinem Publikum gewachsen, und das waren eben irgendwann irgendwelche mittelalterlichen Mittelständler, die mit dem puren Rock'n'Roll gar nichts zu tun haben wollten, sondern ihn in seiner nationalen, breitgewaschenen Version konsumierten.

Spiegel online: Aber Elvis hat das mitgemacht und gut daran verdient.

Remmler: Er hat einfach irgendwann den Überblick verloren und wurde von seinem Manager und seinen Beratern in diese Breite gedrängt. Am deutlichsten war das in seinen späteren Filmen zu sehen: Die waren alle Mist. Mit all diesen komponierten Liedern über Sultane, Hawaii und Trallala. Elvis hat das mitgemacht, weil er es als Musiker alles draufhatte. Aber dadurch hat er seine Wurzeln verloren. Vielleicht ist er daran gestorben: Er hat seinen Weg aus dem Blick verloren.

Spiegel online: Wenn es anders gekommen wäre und er heute noch lebte: Wie wäre er denn so, der Elvis?

Remmler: Wenn er es gepackt hätte, wie die Rolling Stones jetzt noch riesige Tourneen zu machen und sein Publikum mit alten Hits zu unterhalten, angereichert durch ein bisschen was Aktuelles: Das wäre doch toll! B. B. King tourt noch mit über 80, Eric Clapton ist auch schon über 60. Aber Elvis ist da irgendwie... (überlegt)... mit seinen Pillen... er hat's halt nicht gepackt.

Spiegel online: Vielleicht ist es besser so. Oder würden Elvis heutige Popstars wie Britney Spears und 50 Cent gefallen?

Remmler: Es gibt Gerüchte, dass Elvis sich schon gegen die Beatles gewehrt hat, als sie durch die USA tourten. Angeblich wollte er sie aus dem Land drängen. Das spricht nicht für seine Intelligenz. Vielleicht würde er über Britney Spears einfach nur schimpfen.

Spiegel online: Kommen wir zu Angenehmerem: Was ist Ihr Lieblingssong von Elvis?

Remmler(singt): I want to be free-ee-ee. There is no joy in my hea-ea-ea-rt, only sorrow... Und das singt er hinter Gefängnisgittern, toll! Oder der: When the night is cold, do-o-o-o'nt (macht einen Knacklaut mit der Zunge) do-o-o-o'nt!

Spiegel online: Sie singen ja fast so gut wie Elvis.

Remmler: Na ja...

Spiegel online: Dabei ist der Weg von "Heartbreak Hotel" zu einem Song wie "Anna - lass mich rein, lass mich raus" musikalisch ziemlich weit. Hat Elvis es geschafft, sogar eine Neue Deutsche Welle-Band wie Trio zu beeinflussen?

Remmler: Hör dir doch mal die Rhythmusgitarre bei dem Song an! Meine ganze musikalische Entwicklung ist durch Elvis und den Rock'n'Roll geprägt. Ich bin erst durch Elvis der geworden, der ich heute bin.

Spiegel online: Hätte Elvis der minimalistische Song "Da da da" gefallen?

Remmler: Puh, so genau kenne ich Elvis ja nicht, aber... (überlegt)... ja, doch, hätte er.

Spiegel online: Ich wurde 1973 geboren und bin mit Songs wie "Da da da" aufgewachsen statt mit "Heartbreak Hotel". Wie erklären Sie einem wie mir, was Elvis bedeutete?

Remmler: Schau mal, diese Wellen, die alle zehn Jahre kommen: Eine Jugendkultur entsteht, mit echter Musik, die das ausdrückt, was die jungen Leute fühlen und die Eltern ausschliesst. Dann wird sie kommerzialisiert, die Luft ist raus - aber etwas Neues entsteht. Auf den Rock'n'Roll folgten Pop, Punk und Rap. Und mit Elvis hat das alles angefangen. Er steht ganz am Anfang.

Der 23-jährige Elvis Presley im Jahr 1958: "Die Frisur war ganz wichtig", erinnert sich Deutschrocker Stephan Remmler an den Elvis-Hype der Fünfziger Jahre. "Erst wenn man die hatte, gehörte man zur Gruppe"

Spiegel online: Vor Elvis gab es keine Jugendkultur? Was ist mit Swing, Rockabilly und Beat?

Remmler: Vor Elvis wurde Unterhaltungsmusik von ausgebildeten Musikern gespielt: Komponisten, Arrangeuren, Instrumentalisten, Sängern. Die Musik, die Elvis machte, dieser Mix aus schwarzem Rhythm and Blues und weisser Country Music, erforderte zwar etwas Praxis, aber kein Musikstudium. Der Hörer konnte denken: "Das kann ich auch. Ich kann mit Musik das ausdrücken, was mich bewegt." Die Jugendlichen konnten das direkt nachahmen. Elvis hat diese Musik aus der regionalen Nische auf die internationale Bühne gehievt. Dazu diese unglaublich charismatische Figur. Das war das Geheimnis von Elvis' Erfolg.

Spiegel online: Herr Remmler, vielen Dank für das Gespräch.

Remmler: Die Frisur!

Spiegel online: Welche Frisur?

Remmler: Elvis' Frisur darfst du nicht vergessen!

Spiegel online: Was ist mit seiner Frisur?

Remmler: Die war ganz wichtig! Erst wenn man so eine Frisur hatte, gehörte man zur Gruppe.

Spiegel online: Hatten Sie auch so eine Tolle?

Remmler: Na klar, jedenfalls soweit das bei meinen Eltern durchging. Wenn ich aus dem Haus ging, sagten sie: Mach dir mal die Haare richtig. Kaum war ich draussen, zückte ich den Kamm. Ich kann die Bewegung noch heute: Links hoch, rechts hoch, dann in der Mitte den Runterzieher und schliesslich hinten den Entenschwanz. Der Kamm war wichtig, den hatten wir immer dabei. Sogar im Schwimmbad: Wir haben ihn in die Badehose gesteckt. Das gehörte dazu.

Spiegel online: OK, habe ich notiert. Gab es sonst noch etwas, das wichtig war?

Remmler: Die Mode! Jeans, Hemd mit aufgestelltem Kragen und schwarz-weisse Schuhe - solche Schuhe trage ich bis heute. Vor kurzem habe ich mal wieder diesen zweiten Film von Elvis gesehen, Loving you. Richtig klasse. Da trägt er Jeans-Anzug und den Kragen aufgestellt. Das hat eine ganze Generation von Teenagern kopiert. Wir haben sogar nachgeahmt, wie Elvis stand - wie er einfach nur dastand. Er war schon ein ganz Besonderer, der Elvis.

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Datum Autor Format Titel Verlag Anmerkungen
2007.08.13 Florian Harms Artikel Der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert
Elvis Presleys 30. Todestag
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2008.09 Florian Harms Artikel Der wichtigste Erneuerer im 20. Jahrhundert
Elvis Presleys 30. Todestag
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