Rocktext

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Der Rocktext als textlicher Inhalt eines Rockstücks gehört zur Gattung der "Gebrauchsdichtung", ebenso wie die meisten Volkslieder, Bluesgesänge, Poesiealbum-Verse und religiöse Lieder. Rocktexte sind eine Art Interessen-Lyrik, die kollektive Wünsche und Befürchtungen ausdrücken, Ratschläge an andere erteilen, zumeist geschlechtsspezifisch (aus männlicher Sicht) formuliert sind und auch Grenzlinien zwischen "wir" und den "anderen" ziehen. Selbst als ichbezogene Ausführungen gelten sie oft als Stimme einer jugendlichen Gemeinschaft.

Da Rocktexte vertont und gesungen werden, geraten sie fast automatisch bestenfalls auf ein mittleres Qualitätsniveau. Allzu langweilig und nichtssagend dürfen sie nicht sein. Vor allem wichtig ist aber die Musik und die meisten Gruppenmitglieder verstehen sich in erster Linie als Musiker, nicht als Dichter. Poesie ist da Nebensache. Die literarische Mittelmässigkeit vertonter Texte lässt sich übrigens auch in den meisten Kantaten Bachs, den Oratorien von Haydn und den Liedern von Mozart und Schubert feststellen.

Bemerkenswerterweise sind aus Rocktexten bisher so gut wie keine "geflügelten Worte" entstanden, obwohl es im Hinblick auf ihrer millionenfache Verbreitung anzunehmen sein müsste. Bestenfalls gibt es einige Wendungen oder Parolen, die mit einem bestimmten Musiker in Verbindung gebracht werden, etwa

  • "A-wop-bop-a-loo-bop-a-lop-bam-boom" mit Little Richard
  • "I can't get no satisfaction" mit den Rolling Stones
  • "It's only rock'n'roll but I like it" mit den Rolling Stones
  • "Sex and drugs and rock and roll" mit Ian Dury

Zu den Ausnahmen gehören "Keine Macht für niemand" und "Macht kaputt, was euch kaputt macht" von Ton Steine Scherben. Bekannter waren dagegen kurzfristig einige Losungen, die Ende der 1960er Jahre im Zuge des allgemeinen "Aufstands" gegen die Erwachsenenwelt entstanden:

  • "Trau keinem über dreissig"
  • "Tune in, turn on, drop out" von Timothy Leary

Genauso wie der Blues vor dem Hintergrund einer massiven gesellschaftlichen Diskriminierung sich die doppelbödige Verständigungsmöglichkeit des "double talk" schuf, wo das Gesagte nie das Gemeinte war, so schufen sich auch Kinder und Jugendliche seit jeher sprachliche Mitteilungsformen, die den Erwachsenen unzugänglich bleiben sollten.

Als sich der Rock der textlichen Bevormundung durch professionelle Hitschreiber zu befreien begann, entstanden weniger literarische Texte als

  • direkte Forderungen
    • "Why can't we gon on as three?" von David Crosby
    • "Don't step on the grass, Sam" von Steppenwolf
    • "We want the world and we want it now" von den Doors
  • polemische Formulierungen von Standpunkten
    • "One, two, three, four, we don't need this fuckin' war" von Country Joe
    • "We are the other people" von Frank Zappa
    • "Every cop is a criminal" von den Rolling Stones (in "Sympathy for the Devil")
    • "A working class hero is something to be" von John Lennon
    • "Up against the wall, motherfucker" von David Peel
  • Beschreibung politischer wie menschlicher Niederlagen
    • "Four dead in Ohio" von Neil Young
    • "Freedom's just another word for nothing left to lose" von Kris Kristofferson
    • "They just won't let you be, oh no" von Robert Hunter

Anstatt den Soundtrack zur Revolution zu spielen, waren die Rockmusiker längst Zulieferer einer gigantischen Verwertungsindustrie geworden, selbst wenn eine Unmenge von Texten die innere Struktur des Rockgeschäfts betreffen:

  • "Truckin'" von den Grateful Dead
  • "If six was nine" von Jimi Hendrix
  • "Business is business" von John Kay

Viele Rockmusiker fühlten sich in der Rolle von weltanschaulichen und politischen Ersatzfiguren unwohl und überfordert, dem Ratschlag Bob Dylans entsprechend ("Don't follow leaders, watch the parking meters") und zogen die überlebenswichtige Konsequnez: "If you can't beat them, join them". Sie spielten also weiter Rock, als arme wie als schwerreiche Jungs, jetzt freilich nach dem Motto: "We won't get fooled again" (Pete Townshend).

Weitere Themen waren

  • Kritik an den Praktiken des Rockgeschäfts
    • "Denmark Street" von Ray Davies (Kinks)
    • "Hard Rock Town" von Murray McLauchlan
    • "Business" von Godley und Creme
  • Einsatz für Minderheiten, auch sprachlose der Tierwelt
    • "Last lonely eagle" von den New Riders of the Purple Sage
    • "Save the whales" von Country Joe

Das Gesamtwerk von einflussreichen Musikern wie Captain Beefheart und Moondog ("Enough about Human Rights") ist nur in diesem ökologischen Kontext zu verstehen, Neil Youngs "Look at Mother Nature on the run in the 1970s" sowieso.

Allgemeine Zivilisationskritik

  • "Cortez the Killer" von Neil Young
  • "Bold marauder" von Richard Fariña (John Kay, LP Forgotten songs and unsung heroes)
  • "European son" von den Velvet Underground
  • "Madman" von der Alpha Band
  • "Funky western civilization" von Tonio K.

Artikulation und Profilierung von Frauen

  • "Woman is the nigger of the world" von Yoko Ono

Das neue schwarze Selbstbewusstsein

  • "Say it loud, I'm black and I'm proud" von James Brown
  • "We're a winner" von Curtis Mayfield

Minderheiten-Erfahrungen indianischer Rockmusiker

  • Link Wray
  • Jerry Riopelle
  • mehr mit Bitternis: die Liedermacher Patrick Sky, Floyd Westerman, Willie Dunn
  • veräusserlichte Kundgebungen: Redbone
  • stilistische Unsicherheit: XIT

Rassismus

  • "Rock against racism"

Diskriminierung sexueller Minderheiten

  • Tom Robinson
  • Flying Lesbians

Öffentliche Vorgänge jeder Art

  • "Rock gegen alles" von Checkpoint Charlie

Rocktexte sind selten Lesebuchlyrik, sondern oft Sprachrohr populärer Kulturkritik.

Eigenständige literarische Erzeugnisse von Rockmusikern sind selten und meist eher begabte Versuche als literarische Ereignisse:

  • Richard Fariña: Been down so long, it feels like up to me
  • John Lennon: In his own write
  • John Lennon: A Spaniard in the works
  • Bob Dylan: Tarantula

Bob Dylan verdankte einen guten Teil seiner Schreibtechnik und wohl auch seiner Bilder folgenden Personen:

  • Ezra Pound
  • T. S. Eliot ("Desolation Row")
  • Walt Whitman in "I sing the body electric"
  • Carl Sandburg (selber Sammler und Bearbeiter US-amerikanischer Folklore)
  • Rimbaud
  • Kerouac (Beat-Dichter)
  • Allen Ginsberg (Beat-Dichter)
  • Snyder (Beat-Dichter)

Der Einfluss der europäischen Moderne seit den Surrealisten (angedeutet durch "Surrealistic pillow" von Jefferson Airplane) verläuft parallel zur Beschäftugung mit Trivialgattungen wie Comics, Science Fiction usw.:

  • Jobriath
  • Intergalactic Touring Band
  • Todd Rundgren
  • Rumpelstiltskin
  • Mighty Groundhogs
  • Rock-Comic "The amazing Spiderman" (1972) der Webspinners

Der allgemeinen Interessenlage der "Heads", die ihre Köpfe nicht nur mit Pillen, sondern auch mit Lektüre fütterten, nahmen esoterische, exotische, randständige, von der offiziellen Kultur abgewertete Literaturen in der Beschäftigung und als Stofflieferanten Vorrang ein:

  • Edgar Allen Poe
  • Ambros Bierce
  • H. P. Lovercraft
  • Ray Bradbury

Bondage und Sadomasocismus waren weitere Themen:

  • Leopold Sacher Masoch ("Venus in furs" von Velvet Underground)
  • Marquis de Sade (United States of America sagen: "Tying you is fine and whipping you is grand")
  • Frank Zappa ("The torture never stops")
  • Shel Silverstein ("Freakin' at the Freaker's ball", "Masochistic baby")
  • Rolling Stones ("When the whip comes down")
  • X-Ray-Spex ("Oh bondage up yours")

Weitere Themen waren

  • Die Düsternis von William S. Burroughs bei John Cale und später bei Throbbing Gristle
  • ethnologische Machtphnatasien des Carlos Castaneda
  • die Schmalspur-Epen des Philologen Tolkien ("Ring thing von Pearls Before Swine)
  • das Tibetanische Totenbuch
  • das I Ging
  • der magische Tarot (satirisch verbraten bei Frank Zapopa: "Overnight sensation" und den Fugs: "The Belle of Avenue A")
  • leicht Pornographisches anlässlich Henrty Millers Quiet days in Clichy bei Country Joe

Dazu kam die kanonisierte Literatur:

  • die Schreckensvisionen von Franz Kafka, Aldous Huxley und George Orwell (grosse Zahl von Einspielungen und Zitaten zu 1984)
  • direkte Shakespeare-Vertonung von Donovan ("Under the Greenwood Tree")
  • Frank Zappas Programmmusik zu Franz Kafkas In der Strafkolonie
  • Toyas "Tyger, tyger"
  • "How sweet I roamed" von den Fugs nach William Blake
  • "Alabama song" von den Doors nach Bertolt Brecht
  • "Mandelay song" von den Flying Lizards nach Bertolt Brecht

Im Gegenzug interessierten sich Literaten auch für die Rockmusik, seiner ästhetischen Dimensionen halber und wegen seiner Breitenwirkung:

  • Robert Hunter schloss sich den Grateful Dead an
  • Pete Brown versuchte sich mit Piblokto als Rockmusiker und Sänger eigener Texte ("Got a letter from a computer", "High flyin' bird" usw.)
  • Michael Moorcock schrieb Texte für Hawkwind und führte mit seinen Jerry Cornelius-Romanen den Typus des Pop-Heroen, der natürlich auch Rockmusik macht, in die "neue Welle" der britischen Science Fiction ein. Mit seiner eigenen Gruppe Deepvix veröffentlichte er das Album The New World's fair (1975) und erhoffte sich von den Parolen der Sex Pistols auch 1980 noch lektürefördernde Wirkung, wie aus seinem Vorwort zu The Great Rock'n'Roll Swindle, einer Hommage an den Film hervorgeht: "Der dritte Grund war, dass Anarachy in the UK eine Menge Leute mit der Idee des Anarchismus bekanntmachte und vermutlich wenigstens ein paar davon zur Lektüre von Kropotkin und anderen anarchistischen Theoretikern führte, deren Werk heute zunehmend Beachtung erfährt."

Anarchistisch waren auch die Auftritte der Fugs. Ihre sexual- und realpolitischen Angriffe in der Tradition von Lenny Bruce und Lord Buckley fanden so jedenfalls grössere Beachtung als die hektografierte Lyrik von Ed Sanders und Tuli Kupferberg. Auch im Studio erwiesen sie sich als einfallsreiche Produzenten, deren Platten an Engegement, Witz, kultureller Aussagekraft und in der Verwendung ästhetischer Mittel Frank Zappas und Captain Beefhearts Experimenten in nichts nachstehen.

Als englisches Pendant zu den Fugs können Liverpool Scene angesehen werden, deren treibende Kraft der Lyriker Adrian Henry war und die zusammen mit der Bonzo Dog Band eine Linie des britischen literarischen Rock-Kabaretts eröffneten, die über Grimms, Scaffold, Deaf School und Burlesque letztlich auch zu Mr. Concept, dem unabhängigen Kassettenproduzenten aus Leicester führt (The amazing world of Mr. Concept).

Patti Smith war als Lyrikerin bereits anerkannt, bevor sie Rockmusikerin wurde. Desgleichen in England John Cooper-Clarke und Linton Kwesi Johnson.

In Deutschland sind Kiev Stingl, Wolf Wondratschek und Jörg Fauser zu nennen, die dem textlichen Debakel deutscher Rocktexte von literarischer Seite her abzuhelfen versuchten, dabei bisher aber keine wesentlichen Erfolge verbuchen konnten.

Rocktexte unterscheiden sich voneinander je nach der Sondergattung, zu der sie gehören. Egal wie revolutionierend Rock'n'Roll einst war, seine Texte setzten den Ton jener "weissgewaschenen" Coverversionen fort, die den schwarzen Rhythm'n'Blues für ein weissamerikanisches Publikum annehmbar machten. In der Folge wurden die Texte noch harmloser und wirken in den Erzeugnissen des Brill Buildiung Pop oft ausgesprochen infantil und autoritätsgläubig, insbesondere bei zahlreichen Girl Groups (Dixie Cups, Shangri-Las, Ronettes usw.). Die gleichzeitigen Surf-Gruppen wie die Surfaris und die frühen Beach Boys variieren mehr oder weniger ein einziges Thema: Fun, Fun, Fun.

Die Texte des britischen Beat zeigen einen Reifungsprozess und beruhen oft auf persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen. Diese Tendenz zur Selbständigkeit und Absonderung richtet sich rasch gegen die Erwachsenen, indem deren Schwächen bald sozialkritisch ("My generation" von den Who), bald mit überlegenem Sarkasmus oder auch im Stil der älteren sentimentalen Ballade, jedoch mit entgegengesetztem Inhalt, blossgestellt werden ("She's leaving home" von den Beatles).

Für die psychedelische Welle von 1967-1970 sind verschlüsselte Botschaften in Umschreibungen und Buchstabenspielen charakteristisch ("Lucy in the sky with diamonds" von den Beatles), mit einer entwickelten Phantastik (wie bei den frühen Pink Floyd) und bewusst irreal-weltflüchtig.

Ein eigener Typus sind die Hard Rock-Nummern ab 1969, deren Texte dern Platten aus gutem Grund nur selten beigegeben wurden. Hard Rock-Gruppen mit literarischem Ehrgeiz (etwa Rush aus Kanada) gehören zu den ganz seltenen Ausnahmen. Üblicherweise handelt es sich stattdessen um pragmatische Zweck-Literatur, die sich an die Groupies wendet und sie inspiriert.

Der Mainstream-Rock verbreitet in seinen Texten nur lähmende und nichtssagende Mittelmässigkeit.

Der Kulturrock (Yes, Genesis, Gentle Giant) ergeht sich mit Vorliebe in Zukunftsroamn-Visionen, in mittelalterlichen Sagen, in Geschichten um Fabelwesen, mitunter auch in feinsinnigen Bildern kultivierter Ich-Lyrik.

Die Disco-Bewegung Ende der 1970er Jahre reduzierte das Sprachvermögen der Rockmusik weiter, haäufig sogar auf die Artikulationsebene vonm Kindern. Die Texte wirken wie Werbespots, sind kurz, einprägsam und werden unzählige Male wiederholt: Disco is good", "Come to the disco" oder "I love you, dancer".


Sorgfältiger Umgang mit Worten scheint auch in der deutschen Rockmusik eher unerwünscht, von den meist schwammigen Ergüssen der inflationären "Liedermacher-Szene" ganz zu schweigen. Die Rückbesinnung auf Höhepunkte einer jämmerlichen Schlagertradition im eigenen Land mutet bloss krampfhaft an. Peinlichkeiten sind daher an der Tagesordnung (Palais Schaumburg, Geisterfahrer, DAF, Xao, ORAV usw.).

Pure Freude herrscht am ehesten über wortwitzige Parolen der alternativen Szene ("Angriff aufs Schlaraffenland", "Jung kaputt spart Altersheim", "Zurück zum Beton"), die allerdings ironisch gemeint sind. Den allgemeinen Rückstand zeigen Übertragungsversuche von Rock'n'Roll-Klassikern ab Mitte der 1970er Jahre:

  • "Liebe machen" von Alu nach Willie Dixon
  • Coasters-Hits von Sechserpack
  • "Summertime blues" von Ernst Schultz in Hochdeutsch
  • BAP in Kölsch
  • Sparifankal in Bairisch

Besonders verwerflich erscheint auch die unselige Praxis, Rock als Gleitmittel "fortschrittlicher" Parteipolitik zum Dialog mit der Jugend in die Gehörgänge und Hirne zu blasen - vorausgesetzt die Musiker enthalten sich gröberer Unflätigkeiten und krasser Anarchie, produzieren Gesinnungslieder zu Bierzeltmusik oder Politkitsch. Unter solchen Verhältnissen sind Udo Lindenberg und Nina Hagen ihr Geld schon fast wieder wert. Als letztes Aufgebot galten Tibor Kneif Lieder wie die folgenden:

  • "Guten Morgen" von Nikel Pallat (Ton Steine Scherben)
  • "Rock'n'Roll Ausverkauf" von Artischock
  • "Kebabträume" von Deutsch-Amerikanische Freundschaft
  • "Made in Germany von Sigurd Kämpft
  • Schroeders Roadshow
  • TSS
  • Strassenjungs