1797 Augustin Fangé Buch "Geschichte des männlichen Barts unter allen Völkern der Erde bis auf die neueste Zeit (Für Freunde der Sitten und Völkerkunde)"/Siebentes Kapitel

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I. Gebrauch des Barts bey Abschliessung von Bündnissen
II. Bärte, die man verpfändete
III. Schwüre bey dem Bart
IV. Aufnahme an Kindes Statt durch Abschneidung der Haare des Kopfs und des Barts
V. Gewöhnliche Cäremonien, wenn man sich den Bart das erstemal abscheren liess

I. Gebrauch des Barts bey Abschliessung von Bündnissen

Es war eine alte Gewohnheit, zur Verstärkung des Ansehens der öffentlichen Traktaten, die man abschloss, einige Haare des Barts an das Siegel zu befestigen, welches an alten Urkunden hängt. Dom Claude Estiennot erzählt in seiner handschriftlichen Sammlung alter Stücke von einer Urkunde aus dem Jahr 1121, wo dieser Gebrauch ausdrücklich bezeichnet ist. "Damit gegenwärtiges mehrere Gewisheit und Festigkeit erhalte, habe ich ihm die Bekräftigung meines Siegels , nebst drey Haaren meines Barts ertheilt." (Glossar. unter dem Wort, "Bart") Dasselbe liest man in einer Schenkung, die 1181 vom heiligen Florent de Saumur zu Stande gebracht wurde. "Und damit dieses Allmosen den Mönchen unangestastet bleibt, habe ich es durch Aufdrückung meines Siegels, nebst dreyen von meinen Haaren, wie der Augenschein ergibt, bekräftigen lassen." (Ducang. Suppl. Gloss. Theil III, unter dem Wort "Pilum")

Man liest in einem alten Fragment von einer Geschichte Frankreichs, die zu Canisius herausgekommen ist, es sey in dem Traktat, welcher zwischen Alrich, dem König der Gothen, und Clodwich, dem König der Franken abgeschlossen worden, ausdrücklich bedungen worden, dass Alrich den Bart von Clodwich berühren sollte, um dadurch sein Verwandter zu werden. "Dass Alrich Clodwichs Bart berühren soll, wodurch er sein Verwandter werde." Bey Duchesne in der Geschichte der Franken lehrt uns Gerard von Roo, Friedrich, Herzog von Oesterreich und Römischer König habe seinen Bart, nachdem er ihm sich abscheren lassen, Karl, dem König von Ungarn als ein Unterpfand der Verbindung und Freundschaft überschickt, die er mit ihm habe errichten wollen.

II. Bärte, die man verpfändete

Hier ist ein sonderbares Faktum, welches deutlich zu erkennen gibt, wie sehr die Orientaler im zwölften Jahrhundert den Bart schätzten; es würde für unglaublich gehalten werden können, wenn es nicht von Wilhelm von Tyrus, einem sehr ernsthaften Schriftsteller, der fast Augenzeuge davon war, bestätigt würde. Baudouin du Boury, Graf von Edesse, ein Cousin von Gottfried von Bouillon, König von Jerusalem, und in der Folge dessen Nachfolger; Baudouin, sage ich, sah seine Finanzen durch den Krieg, den er hatte fortführen müssen, erschöpft, und da er nicht wusste, wovon er die Truppen, die er in seinem Dienste hatte, besolden sollte, fiel er, um von Gabriel, Herrn von Melidine, seinem Schwiegervater Geld zu bekommen, auf folgendes Auskunftsmittel:

Da er wusste, dass man im Orient viel auf den Bart hielt, den man in diesen Gegenden für eine Hauptzierde des Mannes ansah, zumahl wenn er sehr lang war, so besprach sich Baudouin, der einen Bart trug, welcher ihm bis auf die Brust ging, mit einem Officier von den Truppen, unter deren Begleitung er zu seinem Schwiegervater gekommen war, dem er seine Visite machen wollte: er sollte, wenn sie sich miteinander unterhielten, eintreten und ihm gleichsam im Namen seiner gesammten Truppe Vorstellungen darüber thun, welche Gefahren und Strapazen sie in seinem Dienst und um ihm wieder zu seiner Grafschaft Edesse zu verhelfen, ausgestanden hätten; sie hätten schon lange den Sold, der er ihnen versprochen gehabt habe, nicht erhalten, und da sie nun aufs Aeusserste gebracht wären, so wäre es Zeit, ihnen entweder ihren Sold auszuzahlen oder das Versprechen zu erfüllen, das er ihnen, im Fall er nicht im Stande wäre, sie zu bezahlen, gethan hätte.

Der Herr Gabriel, welcher sich die Klagerede des Officiers hatte erklären lassen, wünschte zu wissen, was der Graf Baudouin seinen Soldaten eidlich versprochen hätte. Der Graf stellte sich, als könnte er es seinem Schwiegervater nicht gestehen. Der Offizier antwortete für ihn, Baudouin habe sich, für den Fall er sie in einem gewissen dazu bestimmten Tage nicht bezahlen könnte, verbindlich gemacht, sich seinen Bart abschneiden zu lassen. Der Herr Gabriel war über dieses Versprechen ganz erstaunt, denn alle Orientaler unterhalten, wie Wilhelm von Tyrus an dieser Stelle versichert, ihren Bart mit äusserster Sorgfalt und betrachten es als einen Schimpf, als die entehrendste Entwürdigung, wenn man ihnen nur ein einziges Haar aus ihrem Barte riss. Als daher der Graf Gabriel den Grafen Baudouin fragte, ob dem so sey, so leugnete dieser das Faktum nicht. Wie, erwiederte Gabriel, ihr habt eine so kostbare Sache, welche das Zeichen eines Mannes, die Zierde seines Gesichts, der fühlbarste Beweis seiner Würde und seines Ansehns ist, als wenn es die werthloseste Sache wäre, die man einem Manne nehmen könnte, ohne ihn mit Verwirrung zu schlagen, zum Pfand auszusetzen gewagt?

Der Graf antwortete, er habe es nicht ändern können; allein er hoffte bey seiner Zurückkehr nach Edessa ein Mittel zu finden, seine Soldaten zufrieden zu stellen, und er würde sie bis dahin um Credit bitten. Hierauf schrieen die Soldaten insgesammt, wenn er sie nicht augenblicklich befriedigte, so würden sie ihn alle verlassen. Da dieses der Herr Gabriel hörte, bezahlte er die Soldaten lieber aus seiner eigenen Schatzkammer, ehe er zugegeben hätte, dass sein Schwiegersohn einen solchen Schimpf duldete; er that diess, nachdem er zuvor das Versprechen von dem Grafen sich hatte geben lassen, sich auf keine solche Art wieder verbindlich zu machen, und keine Bedingung der Art mehr einzugehen. Der Renntmeister Bernard erzählt dieselbe Geschichte fast mit denselben Ausdrücken, wie Wilhelm von Tyrus. Nur setzt er noch hinzu, Gabriel habe es haben wollen, dass Baudouins Soldaten denselben Eid ablegen sollten. (Bern. Thesaurus über die Acquisition des heiligen Landes)

Ich setze noch ein anderes Beyspiel von einem verpfändeten Bart her; es fab diess Dom Juan de Castro, Vicekönig in Indien, dessen Kenebelbärte im ganzen Orient berühmt geworden sind. Im Jahr 1645, als er Vicekönig war, belagerten die Ungläubigen die Stadt Diu im Portugiesischen Gebiet, einen sehr wichtigen Platz. Um die Belagerung aufzuheben, musste man die Flotte rüsten; aber dazu fehlte es an hinlänglichen Fonds. Was that Castro? Er liess sich, sagt man, einen seiner Knebelbärte abscheren; er schickte denselben den Negociateurs von Goa für die Summe von 200'000 Liv. die er als Anleihe verlangte, zum Unterpfand. Sie Seelengrösse von Castro war bekannt; die verlangte Summe wurde als Anleihe übermacht, die Belagerung wurde aufgehoben, und der Knebelbart wurde ehrenvoll zurück geschickt.

Mann kann in Camerarius sehen, dass die Griechen und Orientaler nichts kostbareres, als ihren Bart auf das Spiel setzen konnten. Diess sagt auch Crusius in einem seiner Epigramme, wo er von dem Barte spricht:

"Ja ich bin vielen ein heiliges Pfand!" und in der Anmerkung zu diesem Programm heisst es: "der Bart wurde ehemals, wenn er jemandem verpfändet wurde, für das heiligste Pfand gehalten; worüber in dem Nachtrag zu Nicephors, von Joachim Camerarius herausgegebener Chronologie, zwey sehr artige Geschichten erzählt werden."

III. Eide, die man zu dem Barte schwur

In der ältesten Zeit schwuren *) die Menschen nur bey dem höchsten Wesen. Man hielt sich davon überzeugt, dass derjenige, der durch sein Wesen die Wahrheit selbst sey, der natürlichste Bürge der Wahrheit seyn müsse. Auch sind die ältesten Eide, die zu unserer Kenntniss gelangt sind, in seinem Namen abgelegt worden. Der König Abimelech, der mit Abraham ein Bündniss eingehen wollte, verlangte von ihm, er sollte im Namen Jehovas schwören, dass er ihm kein Uebels anthun wollte. Jakob schwur Laban bey dem Schrecken seines Vaters Isaac, das heisst nach der Erklärung der Ausleger, bey dem von seinem Vater Isaac gefürchteten Gott.

*) Man hat Eide geschworen, so lange es Menschen gibt; und noch scheint es nicht, als würde die Vernunft darüber gehört. Einen Eid muthet man nur dem zu, dessen einfacher Versicherung man nicht traut; aber es ist mehr als wahrscheinlich, dass uns der auch unter Anrufung Gottes, und unter Preisgebung alles zeitlichen und ewigen Glücks belügt. Der sinnliche Mensch hängt an der Gegenwart, und das Uebel, das er in dem Augenblick nicht fühlt, existirt für ihn nicht. Aber er sollte bey Verlust seiner Nase, seines Hauses, seiner Güter schwören, und er würde wohl die Wahrheit sagen.

Aber nachdem die Menschen aus dem einzigen Gott, dessen Idee so früh in der Welt verbreitet war, für mehrere Götter, die sich ihre Phantasie und ihre Leidenschaften schufen, aufgegeben hatten, so änderte sich mit ihren Begriffen von einem höhern Wesen auch ihr Eid *). Er nahm eben so viel verschiedene Gestalten, als ihre Gottheit an. Die Menschen, die ihre eigene angestammte Würde nicht kannten, erniedrigten sich sogar so weit, dass sie zu Bürgen ihres Worts nicht nur Metalle, die sie selbst geschmelzt hatten, sondern auch die unbehüflichsten ekelhaftesten Thiere und die gemeinsten Pflanzen nahmen. Mit einem Wort, es gab nichts so schlechtes in der Natur, von dem sie nicht bessere Meynung, als von sich selbst gehabt hätten.

*) Es ist wahr, die Idee eines einzigen Gottes existirte sehr früh; aber sie existirte nur für wenige Weise, die durch Philosophie auf selbige gelangt waren. Das Volk fasste sie nicht; und der kleine aufgeklörte Theil verbarg sich mit seiner bessern Einsicht vor den Augen der schwachen Menge, die in jeder Naturkraft eine Gottheit fand, hinter Hieroglyphen-Moses, in die Aegyptischen Mysterien eingeweiht, führte die Idee eines einzigen höchsten Wesens zuerst in die Welt ein, und baute seine Staatsverfassung für die Israeliten darauf. Allein Eigenthum des Volkes wurde diese Idee nicht, da es sie nicht fasste, und bey Gelegenheit, wo sein Gesetzgeber Moses den Rücken kehrte, durch grobe Versinnlichung z. B. durch Verfertigung des goldnen Kalbs, in seinen engen Vorstellungskreis wieder zurück sank. Moses bediente sich dieser Idee nur als eines Zaumes für das Volk, wodurch er es in der Zucht hielt. Erst seit der christlichen Religion hat die Idee eines einzigen höchsten Wesens in der Welt Fuss gefasst und der alte Aberglaube ist aus der Welt für immer verbannt.

Die Aegyptier schwuren nicht nur bey ihren Göttern, Isis, Osiris, Anubis, die einen Hundskopf hatten; bey dem Stier Apis, bey dem Affen, dem Crokodil: sondern auch bey dem Knoblauch, dem Aschlauch, bey der Zwiebel, und bey vielen andern Gottheiten, die in ihren Gärten wuchsen.

Die Perser nahmen die Sonne zum Zeuge ihrer Eide; und das war auch bey Griechen und Römern der Fall. Die Scythen schwuren bey Luft und Säbel; ihren Hauptgottheiten. Die Griechen und Römer riefen ihre Götter, die sie grösstentheils mit einander gemein hatten, zu Zeugen an. Und welch eine Menge Götter hatten sie nicht! Sie schwuren bald bey dem einen, bald bey dem andern, bald bey allen zugleich. Sie erzeigten sogar ihren Halbgöttern dieselbe Ehre, und schwuren bey Kastor und Pollux.

Man schwur nicht bloss bey den Göttern, sondern auch bey allem, was sich in ihrem reich erhob; bey ihren Tempeln, bey den Zeichen ihrer Würde, bey den Sinnbildern, die ihnen eigenthümlich waren.

Nachdem sich die Menschen mit ihren Eiden den niedrigsten Wesen der Reihe nach unterwürfig gemacht hatten, liessen sie sich endlich zu sich selbst herab. Sie schwuren daher bey sich selbst und bey den personen, die ihnen theuer waren, mochten sie nun gestroben seyn, oder noch leben. "Ich schwöre bey dem Namen meines Vaters und meiner Mutter", sagt Properz.

Ossa tibi juro per matris et ossa parentis.

Unter den Eidschwüren, die man bey einem der Haupttheile des menschlichen Körpers ablegte, war derjenige einer der vernünftigsten, der den Kopf zum Gegenstand hatte; weil man ihn als den edelsten Theil, und als den Sitz der Seele betrachtete. "Bey diesem Haupt schwör ich", sagt der junge Askanius bey Virgil, "bey welchem mein Vater sonst schwur."

Per caput hoc juro, per quod pater ante solebat.

Auch hatte man vor den Eiden viel Respect, die man mit der rechten Hand ablegte. Wirklich wurde sie zu allen Zeiten und unter allen Völkern als das Symbol der Treue angesehen. Auch bey den Augen schwur man. Es gab eine Zeit, wo nichts gemeiner war, als bey dem Haupt und den Haupthaar Jupiters zu schwören. Diese Art Eid erhielt sich lange, und dauerte selbst nach der Erscheinung des Christenthums noch fort, bis endlich Justinian gegen Mitte des sechsten Jahrhunderts durch eine ausdrückliche Verordnung diese ungeziemende und ärgerliche Eidesformel unter Androhung sehr harter Strafen verbot.

Darf es daher nach dem, was wir so eben erzählt haben, wohl befremden, dass auch Nationen bey dem Bart geschworen haben? Wir haben Juvenal zufolge bemerkt, dass man bey dem Bart Jupiters schwur. Die grosse Verehrung, die man für den Bart hegte, machte, dass man ihn in die Klasse der Dinge setzte, die es verdienten, dass man sich ihrer bey Eiden bediente. Die Griechen gehörten unter diese Klasse Menschen, die den Bart als der Ehre werth ansah, dass man bey ihm Eide ablegte. Kaiser Otho der Erste hatte die Gewohnheit, bey seinem Bart zu schwören. (Leibnitz sagt diess in seinem Script. Brunsuic.)

Es wird in der Geschichte der Wunder des heiligen Benedikt erzählt, dass ein Bauer, der wegen Diebereyen angeklagt gewesen sey, einen Eid bey seinem Bart abgelegt habe, allein dieser Bart, den er in seiner Hand gehalten habe, sey ihm ganz ausgegangen, so dass er seit der Zeit nie wieder gewachsen sey. Ferdinand Mendez Pinto erzählt, Faria, ein berühmter Portugiesischer Reisender habe bey seinem Bart geschworen, wenn der Seeräuber, der ihn zu einer gefährlichen Unternehmung angeworben hatte, nicht alle seine Zweifel lösen würde, so wollte er ihn mit seiner eigenen Hand durchbohren.

Der Bart ward auch für einige Zeit ein Mittel der Wahrsagerkunst. Wenn irgend ein grosses Unglück in der Nachbarschaft von Halicarnass bevorstand, so bekam die Priesterin der Minerva alsobald einen langen Bart. (?) Alexander von Alexandrien, welcher dieses Faktum erzählt, sagt, diess hätte sich zweymal zugetragen. Dieser Schriftsteller meldet auch, es habe in Carien der Glaube geherrscht, dass die bärtigen Frauenzimmer die trefflichsten Anlagen, Orakelsprüche zu ertheilen, besessen hätten.

Die Bärte der Rathsherrn in H...... einer kleinen Stadt in dem Herzogthum B...... in W--n haben zu viel Theil an der Wahl des Bürgermeisters in dieser Stadt, als dass man sie könnte mit Stillschweigen übergehen. An dem zu einer so ehrwürdigen Cäremonie bestimmten Tage nimmt der Rath rings an einer runden Tafel Platz, und jeder Rathsherr nimmt eine solche Stellung seines Körpers an, dass der Bart die Oberfläche der Tafel berührt, auf die man in der Mitte einen Floh setzt, den man mit der Wahl der neuen Magistratsperson beschwert. Es kann nicht fehlen, dass der kleine Wahlherr, wenn er einige Zeit herum geirrt ist, sich nicht endlich an einen Bart hängen sollte; und in dem Augenblick wird dieser Bart zum Bürgermeisterbart. Herr Huet, ehmaliger Bischof zu Avranche hielt es seiner nicht unwürdig, diese sonderbare Wahl in folgenden Versen zu beschreiben:

Bald kamen wir in später Nacht nach H....
Eien alte Posse wird von uns belacht;
Man schritt von neu'm zur Bürgermeisterwahl;
Ein Haufen bärt'ger Männer sitzt zu Tisch,
Mit rauhem Kinn darüber hingereckt.
Ein ganzer Wald von Bärten steht empor.
Ein beissig Thier, ein Floh, genährt in Schmutz,
Wird in die Mitt' gesetzt; und welchem Gott
Beym Bart es mahnt, den brummt der edle Rath,
Grüsst Bürgermeister die gebeugte Stadt.

IV. Annahme an Kindes-Statt vermöge des Barts

Man sieht nirgends, dass die alten Römer die Annahme an Kindes-Statt, als eine Sache der Ehre in dem Charakter von Brüdern, die in dem Mittelalter so allgemein wurde, gekannt habe. Unsere Absicht ist nicht, uns über die verschiedenen Arten dieser Adoption, welche je Statt gefunden haben mögen, zu verbreiten. Wir werden nur von derjenigen sprechen, die im Abschneiden des Haupthaars und des Barts bestand. Wir wollen im Vorbeygehen bemerken, dass der Ursprung dieser Aufnahmen, sey es als Bruder oder Sohn, nicht aus dem Römischen Recht geschöpft werden kann; sondern aus einer Praxis und einem Herkommen, das lange Zeit unter den barbarischen und mitternächtlichen Fürsten beobachtet worden ist; denn sie hatten die Gewohnheit unter sich eingeführt, die benachbarten Fürsten ihres Staats als Söhne oder Brüder, und ihre Kinder auf eine ausserordentliche Art, die den adoptirten Kindern und Brüdern kein Recht zur Nachfolge gab, zu adoptiren. Diese Adoptionen waren eigentlich zu reden, nur blosse Ehrenbezeugungen.

Unter diese verschiedenen Arten von blosser Titularadoption in dem Charakter von Söhnen und Brüdern, gehört diejenige, die vorzüglich im achten Jahrhundert gewöhnlich war, und die dadurch zu Stande kam, dass man demjenigen das Kopfhaar abschnitt, den man als Sohn adoptirte. So schickte Carl Martel seinen Sohn Pipin zu Luitprand, dem König der Lombarden, damit er, indem er ihm die Haare abscheren liess, sein geistlicher oder adoptirter Vater werden möchte; welches uns Paul Warnefried in seiner Geschichte der Lombarden lehrt. "Um diese Zeit schickte Karl, König der Franken, seinen kleinen Sohn Pipin zu Luitbrand, damit er, wie es Sitte war, sein Haar in Beschlag nehmen sollte; er wurde auch, indem er sein Haar beschneiden liess, durch diese Handlung sein Vater, und schickte ihn mit vielen Geschenken bereichert, zu seinem Erzeuger zurück. Aus diesen Worten Warnefrieds scheint zu erhellen, dass Pipin damahls noch sehr jung seyn musste; woraus man den Schluss ziehen kann, dass es zum erstenmale war, wo man ihm das Haar abschnitt.

Diejenigen, welche so die Haare abschnitten, wurden deshalb geistliche "Väter" genannt. Die Chronik von Novaleze sagt es mit ausdrpcklichen Worten, indem sie von dem jungen Pipin spricht: "und er sollte ihm, angenommener Sitte zufolge, Haare ausscheren und sein geistlicher Vater werden, welches er denn auch that."

Dieser Gebrauch war in einem noch ältern Zeitalter entsprungen. Der Kaiser Pogonat, oder der Bärtige, schickte dem Papst Benedict dem Zweyten die Haare seiner Söhne, Justinians und Heraklius, um ihm nach der Sitte der damahligen Zeiten sein Verlangen zu erkennen zu geben, dass sie der Pabst als Vater anerkennen möchte, und dass sie ihm als Kinder gehorchen und ihn als solchen ehren sollten. Diess galt in jenen Zeiten für einen ganz unzweydeutigen Beweis in Absicht der Hochachtung, die dieser Regent für den Papst empfand. Auch nahm der Papst Benedikt diesen Beweis ihrer Unterwerfung mit sehr vielen Cäremonien auf. "Seine Heiligkeit nehmen zugleich mit dem Clerus und der Armee die Haarbüschel des Herrn Justinianus und Heraklius, der Söhne des allergnädigsten Fürsten, und zugleich die wohlwollende Eröffnung an, durch die Höchstselbiger dieselben Haare seiner Heiligkeit übersendet."

Das Darbringen des Haupthaars war zuweilen das Symbol einer heiligen Knechtschaft, der man sich dadurch unterwarf. Der Bibliothekar Anastasius erzählt in seiner Vorrede zum achten Concilium, der König der Bulgaren habe dem Fürsten der Apostel seinen Respect und seine Devotion bezeugen wollen. Er habe demzufolge in Gegenwart Pauls, Bischofs von Poulonium und Formosus, Bischofs von Porto, als Legaten des heiligen Stuhls erklärt, er erkenne sich für den Diener des heiligen Petrus, und des Papsts, seines Nachfolgers; und diess habe er gesagt, indem er Haare von sich abgeschnitten, und sie den Legaten überreicht habe.

So lesen wir auch, dass Bischöffe oft bey Cärmeonien sich Haare abgeschnitten und sie als Zeichen der Bestätigung gewisser Schenkungen, die man der Kirche geweiht hatte, auf den Altar gelegt haben. Ein Beispiel dieses Gebrauchs findet man auf einer Karte von Wilhelm, Grafen von Varenne, wo er sagt, dass er sich, um die Kirche, der er eine Schenkung gemacht hatte, zu investiren, nebst seinem Bruder Raoul von Varenne, von Heinrich Bischof von Vintom die Haare habe abschneiden lassen. "Ich habe sie, (die Kirche) durch die Haare meines Kopfs und durch die meines Bruders Radulphs von Varenna dotirt, welche Haare uns Heinrich Bischof von Vindon mit einem Messer vor dem Altar von unsern Häuptern abgeschnitten hat." Man findet in allen Kirchenverordnungen Gebete, in Absicht der Abschneidung der Haare (ad capillaturam incidendam); und diese unterscheiden sich von denjenigen, welcher man sich bediente, wenn man die geistliche Tonsur erhielt.

Diese Cäremonie war bey den Heiden sehr im Gebrauch, wie man aus den folgenden Versen von Statius Buch III Sylv. in Com. Earin. sieht:

Nimm, Phöbeischer Jüngling, nimm das Haar,
Das Cäsars Sohn dir gibt, nimm's froh,
und zeig's dem ungeschornen Vater.

Er erhielt sich bey den Christen, welche die heidnischen abergläubischen Gebräuche entweder nicht ganz abschaffen wollten, oder es auch nicht konnten, sich nach den schwachen Geistern in ihrer Mitte bequemten, und diese Uebungen lieber beybehielten, um sie durch Gebete zu heiligen und sie der Verehrung des wahren Gottes näher zu bringen, als dass sie die Heiden ganz gegen sich gereitzt und eingenommen hätten, indem sie selbige (Gebräuche) ganz unterdrückten.

Die Zeremonie des Haarabschneidens bey Kindern verrichtete man in der Kirche. Der Eucholog der Griechen bringt das bey dieser Gelegenheit übliche Gebet bey, und nennt diese abgeschnittenen Haare "die Erstlinge". Diese Gebete beweisen noch überdiess, dass man sich bey solchen Gelegenheiten Pathen wählte. (Goar. Euchol.) Mathias Blastares agt überdiess, der Priester ahbe die so abgeschnittenen Haarflocken in die Hand des Pathen gegeben, der sie nach Einigen in Wachs eingewickelt, wo er das Bildniss des Heilands darauf gedrückt und diess als ein Unterpfand von einer Gott geweihten Sache aufbewahrt habe.

Simeon, Erzbischof von Thessalonich scheint zu sagen, dass der Priester diese Haare an einem heiligen Orte aufbewahrt habe. Nicetas schreibt in Absicht dieses Punkts, man habe diese Zeremonie jedes Jahr wiederholt. Dieses Fest wurde Courosona genannt. Dieses Haarabschneiden geschah, wenn man über die Jahre des Knabenalters hianus war und in das Jünglingsalter eintrat. Das alte Salische Gesetz, das heisst dasjenige, welches durch die noch heidnischen Könige vor der Epoche der christlichen Religion zu Stande kam, lehrt uns schon, dass die Zeremonie, den Kindern die Haare zu beschneiden, in Frankreich Mode war, und dass man sie vor dem zwölften Jahre vornahm. "Wenn jemand einen Kanben, der vor dem zwölften Jahre nicht beschnitten worden wäre, umbringen sollte, u. s. w." Man sehe deshalb die von Herold herausgegebenen salischen Gesetze. Und an einem andern Orte heisst es: "wenn jemand einem behaarten Knaben, ohne Vorwissen und Willen der Eltern das Haar abschneidet." Diese Gesetze geben zu erkennen, dass diese Kinder durch ihre Eltern dargebracht wurden, welche mit der Zeit bey solchen Gelegenheiten eine Pathe wählten, welche in der Chronik von Novaleze der "geistliche Vater" heisst.

Dieselbe Zeremonie, wurde wiederholt, wenn man sich zum ersten Mahl den Bart scheren liess. Personen von Stand liessen ehmals ihren Kindern den Bart zum ersten Mahl von Personen von Stand abnehmen, welche dadurch Pathen oder geistliche Väter dieser Kinder wurden. Aimoin bezeugt, der König Clodwich habe seine Gesandten an Alrich, König der Westgothen geschickt, um über Frieden mit ihm zu verhandeln, und ihn zu bitten, er solle demselben den Bart berühren lassen, das heisst, er sollte ihm denselben abscheren lassen, und durch dieses Mittel sein geistlicher Vater werden. "Und Alrich sollte nach der Sitte der Alten Clodwich den Bart berühren und dadurch sein adoptirter Vater werden." (Im zweyten Buch Gest. Francor.)

V. Gewöhnliche Zeremonien, wenn man das erste Mahl den Bart abnahm

Man beobachtete auch Zeremonien, wenn man sich das erste Mahl den Bart abscheren liess. Die Römer stellten an Tagen, wo diese Zeremonie vorging, ein solennes Fest mit vielen Ergötzlichkeiten und Zubereitungen an. Man darf nur dasjenige lesen, was die Geschichtsschreiber von dem Kaiser August, Caligula und Nero erzählen. Der letzte von diesen Kaisern gab sogar nach dem Zeugniss des Riphilin im Leben desselben dieser Festlichkeit den Namen Jünglingsfeste, Jünglingsfestlichkeiten (juvenales, juvenalia) und deshalb wird dieses juvenalia von einigen Notenmachern als "Neugescherte" erklärt. Dion und Riphilin machen dieselbe Bemerkung in Absicht der Kaiser Heliogabal und Avitus.

Es scheint vielleicht befremdend, dass diese Gewohnheiten, die wir für abergläubisch halten müssen, in den Christianism übergegangen sind. Man muss glauben, dass die alten Vorsteher der Kirche die Hofnung aufgegeben haben, die alten heidnischen Gebräuche ganz auszurotten, und, wie wir schon erinnert haben, die Parthey ergriffen, sie zu dulden und zu heiligen, indem sie dieselben in den Schooss der Kirche aufnahmen. So wie die Christen die Zeremonie des ersten Abschneidens des Haupthaars der Kinder durch religiöse Gebote heiligen, so thaten sie auch dasselbe in Absicht des ersten Abnehmens der Haare des Barts. Die heiligen Reden, welche die Griechische und Lateinische Kirche in Absicht dieses Gegenstandes eingeführt hatten, sind gleichfalls in das Sacramentarium des heiligen Gregorius und des Eucholog der Griechen aufgenommen worden. Man findet sie am Ende dieses Werks. Herr von Valois sagt, diese Zeremonie sey Barbatoria (Bartfest) genannt worden; ein Ausdruck, der der durch griechische Notenmacher weitläufiger erklärt wird.

Bey den Rämern stattete man einen zeremoniösen Besuch bey demjenigen ab, dem man das erstemahl den Bart abgenommen hatte, oder welche die männliche Toge anlegten. Die Jahrfeyer dieser Zeremonie wurde mit grossen Anstalten zu Vergnügungen begangen; sie bildete gleichsam eine zweyte Epoche im Leben.