Wenedikt Wassiljewitsch Jerofejew/Biografie

Aus Mikiwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

1938

24. Oktober 1938: Geburt von Wenedikt Jerofejew als Sohn eines aus dem Wolgagebiet stammenden Bahnhofsvorstehers in der kleinen Ansiedlung Niva-2, einer Vorstadt von Kandalaksha (Oblast Murmansk, Russland).

Während sein Vater ab etwa 1940 im Gulag einsitzt (und kurz nach seiner Entlassung 1956 stirbt), wird Wenedikt im Kinderheim erzogen und verbringt den grössten Teil seiner Kindheit in Kirowsk (Oblast Murmansk, Russland).

1955

Er schliesst die Schule mit Auszeichnung (eine Goldmedaille).

Juli 1955: Er immatrikuliert sich an der Lomonossow-Universität in Moskau, wo er Philosophie studiert und Deutschkurse belegt. Später liest er Kant und kennt neben Goethe und Schiller auch Heinrich Mann.

1956

Sein Vater stirbt 1956 nach 16 Jahren Lagerhaft.

14. Oktober 1956 - 14. November 1957: Zeitraum des später unter dem Titel Aufzeichnungen eines Psychopathen (2001) veröffentlichten Tagebuchs, das den Beginn seines steilen sozialen Abstiegs dokumentiert.

Dezember 1956: Nach Ablauf des zweiten Semesters muss Jerofejew die Universität verlassen, da er durch schwere Alkoholexzesse aufgefallen war und sich geweigert hatte, an der obligatorischen Militärausbildung teilzunehmen.

1957

1957 stirbt der zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilte Bruder Boris.

Februar 1957: Tod der Mutter.

Wenedikt besucht für kurze Zeit das Padädagogische Institut in Kolomna und Wladimir. In Wladimir wird er schliesslich als Anführer der Studentengruppe "Die Popen" der Stadt verwiesen.

1958 - 1975

Wenedikt Jerofejew lebt ohne Propiska (ständige Aufenthaltsbewilligung) in Städten in Russland, der Ukraine, Weissrussland, Litauen, Usbekistan und Tadschikistan.

Mangels eines Hochschulabschlusses ist er gezwungen, verschiedene niedere Aushilfstätigkeiten anzunehmen: er arbeitet als Lastenträger, Packer, Aushilfsmaurer, Heizer, Wärter (Diensthabender eines Milizreviers), als Leerguthändler in einer Pfandflaschenannahme, als Mitglied einer parasitologischen Expedition und als Monteur im Fernmeldewesen bei einer Telefonbrigade.

Immer wieder landet Jerofejew auch mit schweren Alkoholvergiftungen in der Psychiatrie: "Sozialer Abstieg, Psychose. Bei Jerofejew finden Sie alles", so sein Psychiater Mosijew.

1960er Jahre

Jerofejew legt erfolglos mehrere Artikel über Henrik Ibsen und Knut Hamsun verschiedenen literarischen Zeitschriften vor.

1969

Während seiner Tätigkeit als Kabelverleger in Scheremetjewo schreibt er den Roman Die Reise nach Petuschki, eine "Dichtung in Prosa", die den Alltag des sowjetischen Alkoholikers Wenedikt beschreibt. Eine erste Fassung ging verloren, erst die zweite Fassung wurde als Samizdat erstmals 1973 im Ausland veröffentlicht. Inzwischen ist der Text so begehrt, dass sich Verlage mit den Erben um die Rechte streiten.

1972

Jerofejew verliert das Manuskript seines Roman Schostakowitsch angeblich im Vollrausch in der Elektritschka - oder es wird ihm gestohlen. Der Roman ist seither jedenfalls nirgends aufgefunden worden und einige vermuten, dass er gar nie existiert hat.

1973

Der Roman Die Reise nach Petuschki erscheint erstmals in Israel der kleinen russischsprachigen Studentenzeitschrift Ani - ohne Wissen des Autors. In dieser Veröffentlichung finden sich allerdings zahlreiche und vor allem in den letzten zwei Kapiteln schwerwiegende Fehler.

Ende 1975

Der französische Verlag Albin Michel veröffentlicht auf Grundlage des Texts der Zeitschrift Ani eine französische Übersetzung.

1976

Albin Michel schliesst mit dem Piper-Verlag in München einen Lizenzvertrag für eine deutsche Ausgabe ab, die 1978 in der Übersetzung von Natascha Spitz erscheint.

1980er Jahre

Jerofejewe beginnt Deutsch zu lernen und soll aus Wut auf den sowjetischen Literaturbetrieb einst gar gedroht haben, sein nächstes Werk auf Deutsch zu verfassen.

1987

Jerofejew lässt sich katholisch taufen.

Ende 1980er Jahre

Jerefejew lebt in einem Wohnblock in Moskau, wo er von begeisterten Lesern ausfindig gemacht wird. Galia Jerofejew: "Er lebte hier in der Gegend, streunend wie eine kleine Katze. Freunde kamen, verbrachten den Abend mit ihm und liessen ihn nachher im Treppenhaus zurück. Dort habe ich ihn gefunden. Ich sagte: 'Komm herein.' Er kam und er blieb."

1988

Der Text Moskau - Petuschki erscheint erstmals offiziell in der Sowjetunion - leicht gekürzt in der Zeitschrift Nüchternheit und Kultur.

1989

Die Aufführung von Jerofejews Theaterstück Die Walpurgisnacht wird in Moskau ein Riesenerfolg.

Veröffentlichung einer verbesserten und von Jerofejew autorisierte Version des Textes Moskau - Petuschki in der Sowjetunion.

1990

11. Mai 1990: Wenedikt Jerofejew stirbt 52-jährig in Moskau an Kehlkopfkrebs. Er ist auf dem Kunzewski-Friedhof begraben.

Zur verifizierbaren literarischen Hinterlassenschaft Jerofejews gehören rund 2'500 Seiten Notiz- bzw. Tagebücher und mehrere Fragment gebliebene Texte.

1992

In Paul Pawlikowskis preisgekröntem Film Die Todestrinker gibt Wenedikt Jerofejew über sein Leben und seine Zeit an der Lomonosow-Universität bereitwillig Auskunft: "Ich hatte gedacht, es wäre ein Tempel des Lernen, dieser verdammte Klotz. Also ging ich rein. Ich guckte nach rechts - grauenhaft. Nach links - grauenhaft. Mein Gott, dachte ich. Ich muss am völlig falschen Ort gelandet sein. Ich fing sofort an, Leibniz zu lesen und zu trinken. Das passte zusammen."

2004

Aus seinem Nachlass werden Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1956 und 1957 unter dem Titel Aufzeichnungen eines Psychopathen veröffentlicht, die Jerofejew bei seinem Freund Wladimir Murawjow eingelagert hatte.

Denkmal

Das aus zwei Statuen bestehende Denkmal für Wenedikt Jerofejew steht heute am Barjbii-Platz (Плошад Ьорьъы) in Moskau. Die eine Statue stellt Wenedikt dar, die andere das Mädchen mit den langen Zöpfen - allerdings hat das dargestellte Mädchen bloss einen Zopf.

Ursprünglich sollten die beiden Statuen an den beiden Bahnhöfen aufgestellt werden: Wenitschka am Kursker Bahnhof, das Mädchen am Bahnhof von Petuschki. In Petuschki wurde auch probeweise eine Figur aufgestellt - da diese aber aus Gips war, hielt sie nicht lange. Dies wiederum freute die örtliche Verwaltung, die kein Denkmal für den Alkoholismus im Ort haben wollte. Die Figur von Wenitschka auf dem Platz vor dem Kursker Bahnhof dagegen musste einem Einkaufszentrum weichen.

Der Barjbii-Platz (Плошад Ьорьъы) liegt im Norden Moskaus zwischen der Nowosuschtschewskaja-Strasse und der Obratsowa-Strasse. Die nächste Metro-Station heisst Mendelewskaja. Von dort aus liegt der Platz etwa 500 Meter in nordöstlicher Richtung. Mit Hilfe von Google Maps sollte der Platz einfach zu finden sein.