Meistermusiker von Joujouka

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Folgende Informationen stammen aus dem Artikel "William Burroughs und die Joujouka-Musik":

Die Musik der Meistermusiker von Joujouka geht vom Vater auf den Sohn über, ohne dass sie notiert (also in Notenschrift umgesetzt) wird. Die Musiker sind per Regierungserlass davon befreit, einer Arbeit nachgehen zu müssen; das gibt ihnen die Freiheit, nichts anderes zu tun als zu spielen. Stundenlang üben sie an den Trommeln, üben sie die kreisförmigen Atemtechniken, mittels derer sie Noten lange halten können, an der Raita, einem oboenähnlichen Instrument. Die Raita und die Trommeln sind die herausragenden Instrumente in der Joujouka-Musik, doch die Musiker spielen auch ein Saiteninstrument, ähnlich der Geige, und singen. Sie haben selten "Auftritte" ausserhalb ihres Dorfes, und ihr Leben gleicht dem einer religiösen Gemeinschaft. Einmal im Jahr während des Bou Jeloud-Festes - dem Fest des Bocksgottes, das mit dem moslemischen Fest Aid el Kebir zusammenfällt, spielen ungefähr dreissig Joujouka-Musiker, in einer Reihe aufgestellt, in weisse Jelabas und braune Turbane gekleidet. Während der Festlichkeiten schliessen sich ihnen die Frauen des Dorfes an, die das Lied von der verrückten Aisha singen. Sie hat einst den Bocksgott ins Dorf gelockt, um sich von ihm schwängern zu lassen. Nach der Theorie von Westermark ist dies eine Inszenierung des antiken römischen Pan-Rituals, welches Fruchtbarkeit garantiert und das uralte Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen bewahrt.

Für westliche Begriffe hat diese Musik keinen "Anfang" und kein "Ende". Es geht bei ihr nicht darum, von einem Ort zum andern zu gelangen, kurz, sie bietet keine Erzählung. Sie geht einfach weiter. Sie erzählt Geschichten. Sie bleibt an einer Stelle. Sie zielt nicht darauf ab, eine Klimax zu erreichen, einen Höhepunkt auch nur anzupeilen. Das lange, monotone Brummen der Raitas, das unausgesetzte, sich immerzu wiederholende Trommeln und der langgezogene Klagegesang erzeugen einen "Klang des Augenblicks". Das wiederum hat die Wirkung eines grossen Raums, der mit den grellen Geräuschen einer grossen Menschenmenge angefüllt ist - wie das Geschrei in einem Basar. Das will nicht heissen, dass diese Musik keine Abschnitte kennt oder dass sie sich dauernd gleich anhört. Ganz im Gegenteil! Sie ändert sich ständig, wie ein Kaleidoskop; sie ist immer anders, und die Einzelheiten verändern sich. Gleichzeitig aber bleibt diese Musik in der gleichen Zeit. Es gibt keine Hierarchie der musikalischen Augenblicke. Ein einzelner Augenblick in der Zeit führt uns nicht zum nächsten. Wenn ein Abschnitt endet, dann endete er, weil es vorher einen Höhepunkt gab, er endet, weil ein musikalischer Gedanke zu Ende geführt ist und ein anderer gerade beginnt.

"Eine kleine Gruppe von ihnen kam von den Bergen herunter und blieb einige Zeit bei uns, sie wohnten bei mir im Haus, und also hörte ich sie üben, ich hörte, wie sie die jüngeren Kinder lehrten zu spielen, und ich lernte nach und nach, wie vertrackt ihre Musik ist... Ich erfuhr einige interessante Dinge über sie, vor allem, dass sie eine Geheimsprache hatten, dass sie sich mit Musik verständigen können, dass sie einen tanzenden Jungen dirigieren können, zum Beispiel, von da nach dort zu gehen... sie geben ihm alle Anweisungen einfach in Musik." (Brion Gysin, Terry Wilson: Here to go : Planet R-101. - London, 1982. - S. 35)

In einigen Arten der Joujouka-Musik kommen Texte vor. Es kann sein, dass diese Texte selbst Teil eines grösseren Rituals, zum Beispiel des Bou Jeloud-Festes, sind. Auch andere Textsorten, zum Beispiel Liebeslieder, kommen durchaus vor. Die gesungenen Stücke haben gewöhnlich die Form eines einzelnen Rufes, eines Solos, auf das eine Antwort der Menge folgt, während die Instrumentalmusik langsam alle Instrumente "einsammelt" (eines fängt an, und die anderen fallen allmählich, nach und nach, ein) und endet auf ein gegebenes Zeichen. Dies ist wichtig. Die Instrumentalstücke sind Gemeinschaftsarbeiten gleichberechtigter Teilnehmer (es handelt sich ausschliesslich um Männer), und die Vokalstücke (die einzigen, an denen Frauen teilnehmen) stellen beziehungen zwischen Wortführer und Menge her.

Eine Bemerkung am Rande: Alle westlichen Toningenieure, die Aufnahmen von Joujouka-Musik gemacht haben, wendeten Einblendungs- und Ausblendungsverfahren an, als Einleitung in die Musik - ganz so, wie es in der Rockmusik üblich ist. Das erlaubt es ihnen, die "Lieder" in einzelne, voneinander getrennte Melodien zu "zerschneiden" und damit von diesem ständigen, fortdauernden, sich immer ändernden pulsierenden Klang abzukommen.

Literatur

  • Amnon Wolman, Julia Miller: William Burroughs und die Joujouka-Musik. - In: Marcel Beyer (Hrsg.), Andreas Kramer (Hrsg.): William S. Burroughs. - Eggingen : Edition Klaus Isele, 1995. - (Porträt ; 4). - ISBN 3-86142-019-8)