Helmut Salzinger: Unterschied zwischen den Versionen

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<b>Helmut Salzinger</b> wurde in Essen mitten im Rurgebiet geboren und war ein typischer Stadtjunge: Landaufenthalte langweilten ihn, Gartenarbeit verabscheute er. Nach dem Besuch des Helmholtz-Gymnasiums studierte er in Köln Literaturwissenschaft und promovierte 1967 in Germanistik über die künstlerische Entwicklung des Kritikers [http://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Gottlob_Winkler Eugen Gottlob Winkler] (1912-1936).
<b>Helmut Salzinger</b> wurde in Essen mitten im Rurgebiet geboren und war ein typischer Stadtjunge: Landaufenthalte langweilten ihn, Gartenarbeit verabscheute er. Nach dem Besuch des Helmholtz-Gymnasiums studierte er in Köln Literaturwissenschaft und promovierte 1967 in Germanistik über die künstlerische Entwicklung des Kritikers [http://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Gottlob_Winkler Eugen Gottlob Winkler] (1912-1936).


Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen begann Salzinger als Hippie und entschiedener Vertreter der hedonistischen Linken zunächst als Rezensent und Musikkritiker unter anderem für das Feuilleton der Zeitung <i>Die Zeit</i> zu schreiben. Getreu Walter Benjamin nutzte er die Literatur- und Musikrezension zur Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen; als er im Sommer 1970 zu vermehrten Schwarzpressungen unveröffentlichen Musikmaterials aufrief, verlangte die Zeitungsredaktion von ihm, sich entweder anzupassen oder zu gehen. Salzinger verliess die Zeitung und begann daraufhin unter dem Pseudonym "Jonas Überohr" von 1973-1975 Kolumnen für die Hamburger Musikzeitschrift <i>Sounds</i> zu schreiben. Sein Buch <i>Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?</i> (1972) gehört zu den ersten wesentlichen Büchern zum Thema Popkultur im deutschen Sprachraum.
Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen begann Salzinger als Hippie und entschiedener Vertreter der hedonistischen Linken aufzutreten. Schon seit 1966 schrieb er als Rezensent und Musikkritiker unter anderem für das Feuilleton der Zeitung <i>Die Zeit</i>. Getreu [http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Benjamin Walter Benjamin] nutzte er die Literatur- und Musikrezension zur Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen; als er im Sommer 1970 zu vermehrten Schwarzpressungen unveröffentlichen Musikmaterials aufrief, verlangte die Zeitungsredaktion von ihm, sich entweder anzupassen oder zu gehen. Salzinger verliess die Zeitung.


Bereits Ende der 1960er Jahre zog Salzinger aufs Land, zuerst nach Nartum (Niedersachsen), bald darauf nach Odisheim. In der Zwischenzeit war er auch als Lyriker hervorgetreten und hatte 1970 <i>Das lange Gedicht</i> veröffentlicht, ein Zeitdokument der deutschen Beat-Szene, der auch Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser oder Jürgen Ploog zuzurechnen sind. Die Text-Collage <i>Swinging Benjamin</i> (1973) war Salzingers Versuch, das Brisante an Benjamins Denken vor dem akademischen Kühlschrank zu bewahren und einer breiten Leserschaft neu zugänglich zu machen. Salzinger war so Teil der nach 1968 einsetzenden undogmatischen [http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Benjamin Walter Benjamin]-Rezeption.  
Bereits Ende der 1960er Jahre war Salzinger aufs Land gezogen, zuerst nach Nartum (Niedersachsen), bald darauf ins Dorf Odisheim zwischen Elbe- und Wesermündung, wo er zusammen mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester, den Rest seines Lebens verbrachte. Hier begann er auch als Lyriker hervorzutreten und veröffentlichte <i>Das lange Gedicht</i> (1970), ein Zeitdokument der deutschen Beat-Szene, der auch Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser oder Jürgen Ploog zuzurechnen sind.  


Ab Mitte der 1970er Jahre begann er seine Laufbahn als Kritiker aufzugeben und lebt nach dem Vorbild von MC5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammen. Der Versuch schlägt allerdings fehl, da sich die Gruppe bald als "hin und her flippender Haufen von Egomaniacs" herausstellt, der sich "zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat", sodass Salzinger sie schliesslich hinauswirft. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen zieht er einen Schlussstrich. "Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt", schreibt er Trikont-Chef Achim Bergmann. "Ich widerrufe meine Hoffnungen."
Sein Buch <i>Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?</i> (1972) gehört zu den ersten wesentlichen Büchern zum Thema Popkultur im deutschen Sprachraum. Die Text-Collage <i>Swinging Benjamin</i> (1973) war Salzingers Versuch, das Brisante an Walter Benjamins Denken vor dem akademischen Kühlschrank zu bewahren und einer breiten Leserschaft neu zugänglich zu machen. Von 1973-1975 schrieb er unter dem Pseudonym "Jonas Überohr" Kolumnen für die Hamburger Musikzeitschrift <i>Sounds</i>.
 
Ab Mitte der 1970er Jahre begann er seine Laufbahn als Kritiker aufzugeben und lebte nach dem Vorbild von MC5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammen. Der Versuch schlug allerdings fehl, da sich die Gruppe bald als "hin und her flippender Haufen von Egomaniacs" herausstellte, der sich "zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat", sodass Salzinger sie schliesslich hinauswarf und einen Schlussstrich zog. "Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt", schrieb er Trikont-Chef Achim Bergmann. "Ich widerrufe meine Hoffnungen."


Im März 1981 veröffentlichte er in <i>Sounds</i> ein letztes Mal einen Beitrag als "Jonas Überohr" - eine harsche Polemik gegen die "gefrässige Generation" der "jungen Achtziger". Er verurteilt den vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstand, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Als einzig wahre Revolution preist er eine anti-konsumistische, nämlich den Verzicht "auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloss zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht." Abschliessend bedauert er, dass "die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Gross-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bisschen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweissfüsse gäb's nicht." <i>Sounds</i> veröffentlichte Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem sich die Zeitschrift deutlich davon distanzierte: Der Text zeige, wie die Überlegungen "ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute" allein "dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischiessen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute 'ausgeklinkt' haben." Wer "sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen - auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung."
Im März 1981 veröffentlichte er in <i>Sounds</i> ein letztes Mal einen Beitrag als "Jonas Überohr" - eine harsche Polemik gegen die "gefrässige Generation" der "jungen Achtziger". Er verurteilt den vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstand, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Als einzig wahre Revolution preist er eine anti-konsumistische, nämlich den Verzicht "auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloss zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht." Abschliessend bedauert er, dass "die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Gross-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bisschen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweissfüsse gäb's nicht." <i>Sounds</i> veröffentlichte Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem sich die Zeitschrift deutlich davon distanzierte: Der Text zeige, wie die Überlegungen "ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute" allein "dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischiessen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute 'ausgeklinkt' haben." Wer "sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen - auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung."


Salzinger focht das nicht an. Irgendwann erbte er dann eines oder mehrere Häuser in Hamburg, von deren Mieteinnahmen er fortan lebte. Mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester, zog er Anfang der 1980er Jahre aufs Land, ins Dorf Odisheim zwischen Elbe- und Wesermündung, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Dort zog er sich radikal vom Kulturbetrieb zurück. Neue Grundlage seines Lebens bildete eine ökologisch orientierte Lebensweise. Im eigenen Bauernhaus gründete er zusammen mit seiner malenden Frau Mo das alternative Kulturzentrum "Head Farm Odisheim", das zu Treffen von Literaten und Künstlern der alternativen Szene (darunter Bert Brune, Hadayatullah Hübsch, Theo Köppen, Klaus Modick, Peer Schröder) genutzt wurde. Salzinger nannte das Haus einmal "Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht". Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen Wahnsinns, verfolgte vom Garten aus den Vogelflug, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg - in drei Büchern, die <i>Ohne Menschen</i> (1988), <i>Der Gärtner im Dschungel</i> (1992) und <i>Moor</i> (1996) hiessen.
Salzinger focht das nicht an. Irgendwann erbte er dann eines oder mehrere Häuser in Hamburg, von deren Mieteinnahmen er fortan lebte. In seinem eigenen Bauernhaus zog er sich radikal vom Kulturbetrieb zurück. Neue Grundlage seines Lebens bildete eine ökologisch orientierte Lebensweise. Zusammen mit seiner malenden Frau Mo gründete er das alternative Kulturzentrum "Head Farm Odisheim", das zu Treffen von Literaten und Künstlern der alternativen Szene (darunter Bert Brune, Hadayatullah Hübsch, Theo Köppen, Klaus Modick, Peer Schröder) genutzt wurde. Salzinger nannte das Haus einmal "Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht". Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen Wahnsinns, verfolgte vom Garten aus den Vogelflug, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg - in drei Büchern, die <i>Ohne Menschen</i> (1988), <i>Der Gärtner im Dschungel</i> (1992) und <i>Moor</i> (1996) hiessen.


Von 1984-1987 gab er zusammen mit seiner Frau Mo und anderen monatlich die Literaturzeitschrift <i>Falk</i> heraus: Die Themenvielfalt reichte von "Bioregionalismus", Buddhismus und Ethnopoesie über Texte unbekannter Dichter und einige Autorenhefte bis zu Walt Whitmans Tagebüchern, Hölderlins Wahnsinnsgedichten und einer Dokumentation über Rainer Maria Gerhardts verschüttetes Werk und seine in die Zukunft weisende Zeitschrift <i>Fragmente</i>. Mit seinem eigenen Verlag Head Farm Odisheim machte sich Salzinger von den grossen Verlagen unabhängig. Hier erschienen eine Reihe seiner Gedichtbände, die ihn als eigenwillige Stimme in der Lyrik der 1970er und 1980er Jahre erkennen lassen. Florian Vetsch: "Helmut Salzinger repräsentierte wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Wolf Wondratschek, Jürgen Ploog oder Hadayatullah Hübsch die erste deutsche Beat Generation; und Salzinger tut dies auf eine ganz besondere Art, baute er doch den ökologischen Ansatz der ursprünglich US-amerikani­schen Bewegung in seiner Poesie, seiner autobio­graphischen und erzählenden Prosa sowie in seinem theoretischen Werk vielfältig und unver­wechselbar aus."
Von 1984-1987 gab er zusammen mit Mo und anderen monatlich die Literaturzeitschrift <i>Falk</i> heraus: Die Themenvielfalt reichte von "Bioregionalismus", Buddhismus und Ethnopoesie über Texte unbekannter Dichter und einige Autorenhefte bis zu Walt Whitmans Tagebüchern, Hölderlins Wahnsinnsgedichten und einer Dokumentation über Rainer Maria Gerhardts verschüttetes Werk und seine in die Zukunft weisende Zeitschrift <i>Fragmente</i>. Mit seinem eigenen Verlag Head Farm Odisheim machte sich Salzinger von den grossen Verlagen unabhängig. Hier erschienen eine Reihe seiner Gedichtbände, die ihn als eigenwillige Stimme in der Lyrik der 1970er und 1980er Jahre erkennen lassen. Florian Vetsch: "Helmut Salzinger repräsentierte wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Wolf Wondratschek, Jürgen Ploog oder Hadayatullah Hübsch die erste deutsche Beat Generation; und Salzinger tut dies auf eine ganz besondere Art, baute er doch den ökologischen Ansatz der ursprünglich US-amerikani­schen Bewegung in seiner Poesie, seiner autobio­graphischen und erzählenden Prosa sowie in seinem theoretischen Werk vielfältig und unver­wechselbar aus."


Am 3. Dezember 1993 erlag er seinem langen Leiden an der Zuckerkrankheit. In seinem Nachlass fanden sich noch zahlreiche Gedichte, Essays und autobiografische Prosa. Seine Frau Mo Salzinger starb im März 2001 - "Sie liebte das Leben sehr", hiess es in ihrer Todesanzeige. Der Verleger Peter Engstler besitzt ein Helmut Salzinger-Archiv.
Am 3. Dezember 1993 erlag Helmut Salzinger 57-jährig seinem langen Leiden an der Zuckerkrankheit. In seinem Nachlass fanden sich noch zahlreiche Gedichte, Essays und autobiografische Prosa. Nach seinem Tod zog Mo Salzinger 1999 nach Ostheim in die Rhön, wo sie im März 2001 bei einem Unfall starb. "Sie liebte das Leben sehr", hiess es in ihrer Todesanzeige. Das von ihr mitgebrachte Archiv von Helmut Salzinger wird nun vom dort lebenden Cut-Up-Texter und Verleger Peter Engstler verwaltet.


== Bibliografie ==
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{{Bibliografie-Stück|2007.12.01|Thomas Nöske|Artikel|[http://www.ewigerunterstrom.de/meine-geschichte-der-deutschen-subliteratur/mo-and-me.html Mo and me]|DE|[http://www.ewigerunterstrom.de Ewiger Unterstrom]|Biografisches zu Mo Salzinger}}
{{Bibliografie-Stück|2007.12.01|Thomas Nöske|Artikel|[http://www.ewigerunterstrom.de/meine-geschichte-der-deutschen-subliteratur/mo-and-me.html Mo and me]|DE|[http://www.ewigerunterstrom.de Ewiger Unterstrom]|Biografisches zu Mo Salzinger}}
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{{Bibliografie-Stück|2008.03.28|Helmut Höge|Artikel|[http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/03/28/auslaufende-konjunkturen/ Auslaufende Konjunkturen]|DE|<i>Tageszeitung</i>|Biografisches}}
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{{Bibliografie-Stück|2008.08.02|Frank Schäfer|Artikel|[http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort{{=}}ku&dig{{=}}2008%2F08%2F02%2Fa0144&cHash{{=}}d876f03cf6 Systematische Auswilderung]|DE|<i>Tageszeitung</i>|Biografie}}
{{Bibliografie-Stück|2008.08.02|Frank Schäfer|Artikel|[http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort{{=}}ku&dig{{=}}2008%2F08%2F02%2Fa0144&cHash{{=}}d876f03cf6 Systematische Auswilderung]|DE|<i>Tageszeitung</i>|Biografie}}

Version vom 3. Januar 2010, 06:28 Uhr

Deutscher Schriftsteller ; geboren 1935 in Essen, gestorben 3. Dezember 1993 in Odisheim

Helmut Salzinger wurde in Essen mitten im Rurgebiet geboren und war ein typischer Stadtjunge: Landaufenthalte langweilten ihn, Gartenarbeit verabscheute er. Nach dem Besuch des Helmholtz-Gymnasiums studierte er in Köln Literaturwissenschaft und promovierte 1967 in Germanistik über die künstlerische Entwicklung des Kritikers Eugen Gottlob Winkler (1912-1936).

Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen begann Salzinger als Hippie und entschiedener Vertreter der hedonistischen Linken aufzutreten. Schon seit 1966 schrieb er als Rezensent und Musikkritiker unter anderem für das Feuilleton der Zeitung Die Zeit. Getreu Walter Benjamin nutzte er die Literatur- und Musikrezension zur Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen; als er im Sommer 1970 zu vermehrten Schwarzpressungen unveröffentlichen Musikmaterials aufrief, verlangte die Zeitungsredaktion von ihm, sich entweder anzupassen oder zu gehen. Salzinger verliess die Zeitung.

Bereits Ende der 1960er Jahre war Salzinger aufs Land gezogen, zuerst nach Nartum (Niedersachsen), bald darauf ins Dorf Odisheim zwischen Elbe- und Wesermündung, wo er zusammen mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester, den Rest seines Lebens verbrachte. Hier begann er auch als Lyriker hervorzutreten und veröffentlichte Das lange Gedicht (1970), ein Zeitdokument der deutschen Beat-Szene, der auch Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser oder Jürgen Ploog zuzurechnen sind.

Sein Buch Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution? (1972) gehört zu den ersten wesentlichen Büchern zum Thema Popkultur im deutschen Sprachraum. Die Text-Collage Swinging Benjamin (1973) war Salzingers Versuch, das Brisante an Walter Benjamins Denken vor dem akademischen Kühlschrank zu bewahren und einer breiten Leserschaft neu zugänglich zu machen. Von 1973-1975 schrieb er unter dem Pseudonym "Jonas Überohr" Kolumnen für die Hamburger Musikzeitschrift Sounds.

Ab Mitte der 1970er Jahre begann er seine Laufbahn als Kritiker aufzugeben und lebte nach dem Vorbild von MC5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammen. Der Versuch schlug allerdings fehl, da sich die Gruppe bald als "hin und her flippender Haufen von Egomaniacs" herausstellte, der sich "zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat", sodass Salzinger sie schliesslich hinauswarf und einen Schlussstrich zog. "Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt", schrieb er Trikont-Chef Achim Bergmann. "Ich widerrufe meine Hoffnungen."

Im März 1981 veröffentlichte er in Sounds ein letztes Mal einen Beitrag als "Jonas Überohr" - eine harsche Polemik gegen die "gefrässige Generation" der "jungen Achtziger". Er verurteilt den vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstand, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Als einzig wahre Revolution preist er eine anti-konsumistische, nämlich den Verzicht "auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloss zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht." Abschliessend bedauert er, dass "die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Gross-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bisschen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweissfüsse gäb's nicht." Sounds veröffentlichte Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem sich die Zeitschrift deutlich davon distanzierte: Der Text zeige, wie die Überlegungen "ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute" allein "dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischiessen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute 'ausgeklinkt' haben." Wer "sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen - auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung."

Salzinger focht das nicht an. Irgendwann erbte er dann eines oder mehrere Häuser in Hamburg, von deren Mieteinnahmen er fortan lebte. In seinem eigenen Bauernhaus zog er sich radikal vom Kulturbetrieb zurück. Neue Grundlage seines Lebens bildete eine ökologisch orientierte Lebensweise. Zusammen mit seiner malenden Frau Mo gründete er das alternative Kulturzentrum "Head Farm Odisheim", das zu Treffen von Literaten und Künstlern der alternativen Szene (darunter Bert Brune, Hadayatullah Hübsch, Theo Köppen, Klaus Modick, Peer Schröder) genutzt wurde. Salzinger nannte das Haus einmal "Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht". Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen Wahnsinns, verfolgte vom Garten aus den Vogelflug, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg - in drei Büchern, die Ohne Menschen (1988), Der Gärtner im Dschungel (1992) und Moor (1996) hiessen.

Von 1984-1987 gab er zusammen mit Mo und anderen monatlich die Literaturzeitschrift Falk heraus: Die Themenvielfalt reichte von "Bioregionalismus", Buddhismus und Ethnopoesie über Texte unbekannter Dichter und einige Autorenhefte bis zu Walt Whitmans Tagebüchern, Hölderlins Wahnsinnsgedichten und einer Dokumentation über Rainer Maria Gerhardts verschüttetes Werk und seine in die Zukunft weisende Zeitschrift Fragmente. Mit seinem eigenen Verlag Head Farm Odisheim machte sich Salzinger von den grossen Verlagen unabhängig. Hier erschienen eine Reihe seiner Gedichtbände, die ihn als eigenwillige Stimme in der Lyrik der 1970er und 1980er Jahre erkennen lassen. Florian Vetsch: "Helmut Salzinger repräsentierte wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Wolf Wondratschek, Jürgen Ploog oder Hadayatullah Hübsch die erste deutsche Beat Generation; und Salzinger tut dies auf eine ganz besondere Art, baute er doch den ökologischen Ansatz der ursprünglich US-amerikani­schen Bewegung in seiner Poesie, seiner autobio­graphischen und erzählenden Prosa sowie in seinem theoretischen Werk vielfältig und unver­wechselbar aus."

Am 3. Dezember 1993 erlag Helmut Salzinger 57-jährig seinem langen Leiden an der Zuckerkrankheit. In seinem Nachlass fanden sich noch zahlreiche Gedichte, Essays und autobiografische Prosa. Nach seinem Tod zog Mo Salzinger 1999 nach Ostheim in die Rhön, wo sie im März 2001 bei einem Unfall starb. "Sie liebte das Leben sehr", hiess es in ihrer Todesanzeige. Das von ihr mitgebrachte Archiv von Helmut Salzinger wird nun vom dort lebenden Cut-Up-Texter und Verleger Peter Engstler verwaltet.

Bibliografie

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Sekundärliteratur

Datum Autor Format Titel Verlag Anmerkungen
1972 Helmut Salzinger Buch Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution? : ein Essay über Pop-Musik und Gegenkultur
DE
[[image:country_Fischer
Fischer Taschenbücher 1280
ISBN 3-43601531-8.gif]] Fischer
Fischer Taschenbücher 1280
ISBN 3-43601531-8: 281 S. ; 18 cm
Mit Diskografie
1973 Helmut Salzinger Buch Swinging Benjamin
DE
Datei:country Peter Engstler.gif Peter Engstler:
1976 Helmut Salzinger Buch Jonas Überohr Live
DE
Datei:country .gif :
1977 Mick Jagger, Keith Richards Buch The Rolling Stones songbook
DE
Datei:country Zweitausendeins.gif Zweitausendeins: Übersetzungen von Teja Schwaner, Carl Weissner und Jörg Fauser, 75 Alternativ-Übersetzungen von Helmut Salzinger
1979 Helmut Salzinger Buch Gehen, Schritte : Texte und Bilder
DE
Datei:country .gif :
1982 Helmut Salzinger Buch Rock um die Uhr und andere kleine Schriften zur Musik und Gegenkultur
DE
Datei:country .gif : Selbstverlag
1982 Helmut Salzinger Buch Mein letzter Sommer : 100 Haikus
DE
Datei:country .gif :
1984 Helmut Salzinger Buch Nackter Wahnsinn : die Wirklichkeit und die Suche nach ihr zwischen Konsens und Nonsens : Minima Maxima : Grundlegungen zu einer Kritik sämtlicher bestehender Verhältnisse
DE
Datei:country .gif :
1987 Helmut Salzinger Buch Stille Wasser : Gedichte
DE
Datei:country Head Farm.gif Head Farm: 60 Exemplare
1988 Helmut Salzinger Buch Ohne Menschen : Erzählungen einer Landschaft
DE
Datei:country .gif :
1989 Helmut Salzinger Buch Pschschhh : sechs Versuche, in den Ofen zu pinkeln
DE
Datei:country .gif :
1992 Helmut Salzinger Buch Der Gärtner im Dschungel
DE
Datei:country .gif :
1993 Helmut Salzinger Buch Die beiden Hände des Sperbers : neue Gedichte
DE
[[image:country_Peter Engstler
ISBN 3-929375-03-6.gif]] Peter Engstler
ISBN 3-929375-03-6: 24 S.
xxxx Helmut Salzinger Buch The two hands of the sparrowhawk
DE
[[image:country_Peter Engstler
ISBN 3-929375-33-8.gif]] Peter Engstler
ISBN 3-929375-33-8: Übersetzung des Buchs Die beiden Hände des Sperbers (1993) von Mary Burns
1993 Helmut Salzinger Buch Die Freundlichkeit der Kraft : neue Gedichte
DE
Datei:country Peter Engstler.gif Peter Engstler:
1995 Helmut Salzinger Buch Vogelschau : Gedichte aus dem Nachlass
DE
[[image:country_Peter Engstler
ISBN 3-929375-08-7.gif]] Peter Engstler
ISBN 3-929375-08-7: 32 S.
1996 Helmut Salzinger Buch Moor : ein Versuch, nichts zu erzählen
DE
[[image:country_Head Farm
ISBN 3-922445-08-X.gif]] Head Farm
ISBN 3-922445-08-X:
1997 Helmut Salzinger Buch Stille Wasser
DE
[[image:country_Head Farm
ISBN 3-922445-04-7.gif]] Head Farm
ISBN 3-922445-04-7: Neuauflage
1996 Helmut Salzinger Buch Salzinger Land : ausgewählte Texte von Helmut Salzinger
DE
[[image:country_Michael Kellner
ISBN 3-89630-101-2.gif]] Michael Kellner
ISBN 3-89630-101-2: In: Krachkultur Nr. 6, 1996
199x Helmut Salzinger Buch Mein letzter Sommer : 100 Haikus
DE
[[image:country_
ISBN 3-923588-34-8.gif]]
ISBN 3-923588-34-8: Saxifraga Nr. 4
2010.04 (Hrsg.) Frank Schäfer, Helmut Salzinger Buch Best of Jonas Überohr : Popkritik 1966-1982
DE
Datei:country Philo Fine Arts.gif Philo Fine Arts: 350 S.
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Diskografie

Datum Autor Format Titel Verlag Anmerkungen
1993.12.10 Artikel Helmut Salzinger
DE
[[image:country_Die Zeit.gif]] Die Zeit: Nachruf
1996 (Hrsg.) Klaus Modick, (Hrsg.) Mo Salzinger, (Hrsg.) Michael Kellner Buch Humus : Hommage à Helmut Salzinger
DE
[[image:country_Michael Kellner
ISBN 978-3-933444-09-7.gif]] Michael Kellner
ISBN 978-3-933444-09-7: 144 S. : Ill. ; 21 cm
Beiträge von 19 Autoren
2006.10.10 Helmut Höge Artikel Das Moor hat seine Schuldigkeit getan
DE
[[image:country_Tageszeitung.gif]] Tageszeitung: Biografisches
2007 (Hrsg.) Caroline Hartge, (Hrsg.) Ralf Zühlke Buch Querfalk : Buch über eine Zeitschrift
DE
[[image:country_Peter Engstler
ISBN 978-3-929375-81-7.gif]] Peter Engstler
ISBN 978-3-929375-81-7: 140 S.
Dokumentation der Literaturzeitschrift Falk
Beiträge von Eugen Pletsch, Hadayatullah Hübsch, Michael Kellner, Theo Köppen, Thomas Kaiser, Peer Schröder, Sybille Klefinghaus, Klaus Modick, Helmut Höge, Martin Brinkmann, Thomas Nöske und Florian Vetsch.
2007.12.01 Thomas Nöske Artikel Mo and me
DE
[[image:country_Ewiger Unterstrom.gif]] Ewiger Unterstrom: Biografisches zu Mo Salzinger
2008.03.28 Helmut Höge Artikel Auslaufende Konjunkturen
DE
[[image:country_Tageszeitung.gif]] Tageszeitung: Biografisches
2008.08.02 Frank Schäfer Artikel Systematische Auswilderung
DE
[[image:country_Tageszeitung.gif]] Tageszeitung: Biografie
2009.12.28-30 Frank Schäfer Artikel Swinging Salzinger : eine Erinnerung an einen frühen Pop-Praktiker [[image:country_Junge Welt.gif]] Junge Welt: Biografie
|- Vorlage:Diskografie-Stück-X |}

Weblinks

Datum Interpret Format Titel Bestellnummer Anmerkungen
Herausgeber Sprache Webseitentitel Anmerkungen