Fjodor Michailowitsch Dostojewski/Biografie: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 27. Februar 2011, 23:33 Uhr

Die folgenden Kalenderdaten folgen dem Julianischen Kalender, der in Russland bis zur Revolution 1917 in Gebrauch war. Während des 19. Jahrhunderts folgte er dem Gregorianischen Kalender in einem Abstand von 12 Tagen.

Die Transkription russischer Namen ist leider nicht einheitlich.

1789

Geburt von Michail Andrejewitsch Dostojewski, dem Vater von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Er ist Militärarzt und Sozialmediziner.

1800

Geburt von Maria Fjodorowna Netschajewa, der späteren Frau von Michail Andrejewitsch Dostojewski und Mutter von Fjodor Michailowitsch Dostojewski.

1820

Geburt von Michail Michailowitsch Dostojewski, dem älteren Bruder von Fjodor Michailowitsch Dostojewski.

1821

  • 30. Oktober: Geburt von Fjodor Michailowitsch Dostojewskij als zweites von sieben Kindern in einem Nebengebäude des Maríjinskij-Armenhospitals in Moskau, wo sein Vater Michail Andrejewitsch Dostojewski als Arzt tätig ist.

Taufe nach russisch-orthodoxem Ritus.

Kindheit und Jugend vorwiegend in Moskau. Bereits in seiner Kindheit leidet Fjodor an epileptischen Anfällen.

1831 - 1837

Fjodor und sein älterer Bruder Michail (geboren 1820) besuchen gemeinsam die Grundschule in Moskau.

1831

Dostojewskij erlebt im Moskauer Theater eine Aufführung von Schillers Die Räuber.

1834

Der Vater kauft ein Landgut im Gouvernement Tula, das aus den beiden Dörfern Tschermáschnaja und Darovóje besteht. Zum Gut gehören etwa hundert männliche Leibeigene.

1837

  • 27. Februar: Tod der Mutter Maria Fjodorowna Dostojewski an Schwindsucht.

Michail Michailowitsch und Fjodor Michailowitsch Dostojewski übersiedeln nach St. Petersburg, um sich auf das Bauingenieurstudium vorzubereiten.

Jugendefreundschaft mit Dmitri Grigorowitsch und Iwan Schidlowski.

Der Vater gibt alsbald seine Tätigkeit im Krankenhaus auf und zieht sich auf sein Gut nach Darovóje zurück, um als typischer Gutsbesitzer zu leben - als Wüstling, Trunkenbold und Tyrann.

1838 -1841

Fjodor wird als 17jähriger in die Pionierschule in St. Petersburg aufgenommen. Sein Bruder Michail bezieht eine gleichartige Schule in Reval (Estland; heute Tallinn).

Fjodor interessiert sich in St. Petersburg mehr für Literatur als für das Pionierwesen oder seine reicheren Kameraden, darunter viele Polen und Baltendeutsche, mit denen ihn nichts verbindet. Eine vernichtende Beschreibung dieser Kameraden gibt er später in seinen Aufzeichnungen aus einem Kellerloch (1864). Von den russischen Klassikern verehrt er Puschkin abgöttisch, ist aber vor allem von Gogol und Lermontow angetan. Er lernt auch eine Reihe ausländischer Autoren gut kennen, darunter Homer, William Shakespeare, Byron, Racine, Corneille, Pascal, Balzac, George Sand, Charles Dickens, Victor Hugo, E. T. A. Hoffmann, Goethes "Werther" und "Faust" und ganz besonders Schiller. "Ich habe Schiller auswendig gelernt", schreibt er seinem Bruder Michail, "ich redete von ihm, ich schwärmte von ihm, und ich glaube, dass das Beste, was das Schicksal mir in meinem Leben angetan hat, das war, dass es mir zur Kenntnis dieses grossen Dichters verhalf."

Erste dramatische Versuche unter dem Einfluss Schillers und Puschkins: Maria Stuart und Borís Godunóv.

1839

  • Juni: Aufgrund brutaler Misshandlungen wird der Vater von seinen Leibeigenen auf seinem Gut Chermashnya erschlagen.

1842

Dostojewskij wird zum Leutnant befördert.

1843

Dostojewskij beendet sein Studium an der Pionierschule in St. Petersburg ab.

Brevetierung als Offizier.

Annahme einer Stelle als Technischer Zeichner im Kriegsministerium an.

Übersetzung von Balzacs Eugenie Grandet ins Russische.

1844

Dostojewskij nimmt seinen Abschied und verlässt die Stelle im Kriegsministerium.

Er mietet sich eine Wohnung in St. Petersburg und beginnt als freier Schriftsteller zu leben.

Übersetzung von George Sand's La dernière Aldini ins Russische. Übersetzung von Sue.

Beginn der Arbeit an der ersten Novelle, Arme Leute (1846).

1845

Freundschaft mit dem liberalen Wissarion Grigorijewitsch Belinski, Russlands einflussreichstem Kritiker. Nach der Lektüre von Arme Leute erklärt dieser Dostojewskij: "Die Wahrheit ist Ihnen kund und offenbar geworden wie ein grosses Geschenk. Halten Sie dieser Gabe die Treue, und Sie werden ein grosser Schriftsteller werden."

Bekanntschaft mit Nikolai Nekrassow und Iwan Turgenjew.

1846

Veröffentlichung von Dostojewskis Erstlingswerk, dem Briefroman Arme Leute, die unglückliche Liebesgeschichte zwischen einem ältlichen Beamten und einer jungen Frau. Grosser Erfolg beim Petersburger Publikum. Dostojewski wird mit einem Schlag berühmt. Der führende russische Literaturkritiker Wissarion Grigorijewitsch Belinskij nennt das Buch "das Werk eines Genies". Deutlich ist im Roman der Einfluss Gogols zu spüren, den Dostojewskij in der Nachfolge der so genannten natürlichen Schule einseitig als Mitleid erweckenden Schilderer sozialen Elends fehlinterpretiert. Die Gogolsche Ironie dagegen kommt in Arme Leute nicht zum Tragen.

Zwei Wochen später erscheint in Krajewskis Monatsschrift Otetschestvennje sapiski [dt. Vaterländische Notizen] die Erzählung Der Doppelgänger. Damit beginnt eine Reihe von Prosatexten, die - zumeist vor der nebulösen Atmosphäre des europäisierten Sankt Petersburg - das Ringen des Menschen um Identität beschreiben. Nicht nur der sprechende Name des Protagonisten (golod: Hunger; golyj: nackt, kahl) ist hierfür Programm. Die Abenteuer des Herrn Goljadkin sind allerdings noch stark der Tradition Gogols verpflichtet. Kritiker und Publikum sind jetzt enttäuscht. Nur Belinskij lobt die "untadelige Kunstgerechtigkeit" der Sprache des Helden, warnt Dostojewskij aber auch davor, sich auf Kosten der Kunst in pathologische Zergliederungen einzulassen. Veröffentlichung der Erzählung Herr Prochártschin.

  • Sommer: Aufenthalt in Reval in der Familie des älteren Bruders Michail.

Erster Kontakt zum revolutionären Kreis des utopischen Sozialisten Michail Wassiljewitsch Butaschewitsch-Petraschewski und zu Alexander Herzen.

Beginn der Freundschaft mit Apollon Maikow.

  • 30. Oktober: Anna Grigorijewna Snitkina wird in St. Petersburg geboren. Sie wird 1867 Dostojewskis werden.

1847

Bruch mit Belinski.

Veröffentlichung von Eine Novelle in neun Briefen und der Kurzgeschichte Die Wirtin.

Dostojewskij tritt Petraschewskijs revolutionärer Geheimorganisation bei, die unter dem Einfluss Belinskijs und des französischen Theoretikers Charles Fourier einen utopischen Sozialismus propagiert. Dostojewski liest ausserdem Cabet, Helvétius und Saint-Simon.

1848

Veröffentlichung der Kurzgeschichte Ein schwaches Herz und des sentimentalen Romans Helle Nächte. Weitere Veröffentlichungen: Polsunkov, Weihnachtsbaum und Hochzeit, Der ehrliche Dieb, Ausser Dienst, Der eifersüchtige Gatte, Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett.

Enger Kontakt mit Michail Wassiljewitsch Butaschewitsch-Petraschewski und Nikolai Speschnjow.

Dostojewskijs Bruder Michail veröffentlicht seine Übersetzung von Schillers Don Carlos.

1849

Veröffentlichung des zur Erzählung umfunktionierten Romanfragments Netoschka Neswanowa. All den Werken seit dem Debütroman Arme Leute ist nur wenig Erfolg beschieden.

  • 23. April: Dostojewskij wird in St. Petersburg verhaftet, nachdem ein eingeschleuster Polizeispitzel die Treffen der Geheimorganisation um den utopischen Sozialisten Michail Wassiljewitsch Petraschewskij verraten hat. Er wird staatsfeindlicher Aktivitäten angeschuldigt, da er ein "kriminelles Schreiben" von Belinski vorgelesen hat.

Während der Haft in der Peter-Pauls-Festung schreibt Dostojewskij die frische und ruhig-klare Geschichte Ein kleiner Held, die aber erst 1857 veröffentlicht wird.

  • September: 28 der verhafteten "Rebellen" werden vor ein Kriegsgericht gestellt und 15 von ihnen (darunter Dostojewski) zum höchsten Strafmass verurteilt.
  • 22. Dezember: Schein-Hinrichtung in St. Petersburg. Auf der Hinrichtungsstätte wird Dostojewski durch den Zaren Nikolaus I. begnadigt und das Todesurteil zu vierjähriger Zwangsarbeit sowie anschliessenden vier Jahreen Militärdienst als "gemeiner Soldat" in Sibieren umgewandelt.
  • 24. Dezember: Dostojewski und seine Gefährten werden in Ketten nach Sibirien in Marsch gesetzt. Auf dem Weg machen die "Petraschewzi" auch in Tobolsk halt, wo sie von einigen Dekabristenfrauen besucht werden. Eine dieser adeligen Frauen, Frau Fonwisina, schenkt Dostojewskij ein Exemplar des Neuen Testaments.

1850

  • 23. Januar: Beginn der Festungshaft in Omsk, wo Dostojewski seine Strafzeit in einem Arbeitslager verbringt. Dazu trägt er etwa fünf Kilo schwere Ketten an den Beinen.

Private Aufzeichnungen im Sibirischen Heft.

1853

Erste schwerere epileptische Anfälle, die erstmals ärztlich diagnostiziert und registriert werden.

1854

  • Mitte Februar: Beendigung der vierjährigen Festungshaft in Omsk.

Dostojewski wird als Soldat zum Militärdienst im 7. Grenz-Bataillon nach Semipalátinsk (Südwest-Sibirien) nahe der Grenze zur Mongolei abkommandiert.

  • 22. Februar: Fjodor schreibt in einem Brief an seinen Bruder Michail über seine Mitgefangenen in der Katorga: "Sie sind brutale, zornige, verbitterte Menschen. Ihr Hass auf den Adel ist grenzenlos; sie betrachten uns alle, die wir dazugehören, mit feindseliger Abweisung. Sie würden uns auffressen, wenn sie könnten. Urteile nun selbst, in welcher Gefahr wir schwebten, während wir unser Leben mit diesen Menschen gemeinsam verbringen mussten, mit ihnen essen, neben ihnen schlafen, und ohne irgendeine Möglichkeit, uns über das Unrecht zu beschweren, das uns ständig angetan wurde ... Einhundertfünfzig Widersacher, die niemals müde wurden, uns zu verfolgen - das war ihr Spass, ihre Ablenkung, ihr Zeitvertreib ... Unser einziger Schild war unsere Indifferenz und unsere moralische Überlegenheit, die sie gezwungen waren anzuerkennen und zu respektieren."
  • März: In einem Brief an Frau Fonwisina, die ihm 1850 in Tobolsk das Neue Testament geschenkt hatte, schreibt Dostojewski: "Ich kann von mir selbst sagen, dass ich ein Kind meiner Zeit bin, ein Kind des Unglaubens und des Skeptizismus; ich bin es bis jetzt gewesen und weiss, dass ich es bis an mein Grab bleiben werde. Wie viele Leiden hat mich dieser Durst nach Glauben schon gekostet und wie viele kostet er mich noch; er ist um so stärker in meiner Seele, je mehr Argumente ich gegen ihn habe." Er schreibt, sein Trachten und Sehnen sei dennoch von Christus bestimmt, denn "es gibt nichts Schöneres, nichts Tieferes und Mitfühlenderes, nichts Besonneneres, Menschlicheres und Vollkommeneres als Christus ... Wenn irgend jemand mir bewiese, dass Christus ausserhalb der Wahrheit stand, und es wirklich so war, dass die Wahrheit ausserhalb von Christus war, so würde ich lieber bei Christus bleiben als bei der Wahrheit."
  • Herbst: Der junge Baron A. E. Wrangel kommt als Bezirks-Staatsanwalt nach Semipalatinsk. In ihm findet Dostojewski einen Bewunderer seines literarischen Talents und einen wirklichen Freund.

1856

Arbeit an den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860-1862).

  • Herbst: Beförderung zum Unterleutnant (Fähnrich), dem niedrigsten Unteroffiziersgrad, dank obrigkeitlicher und privater Protektion sowie einiger von ihm verfasster patriotischer Verse.

1857

  • 6. Februar: Heirat mit der verwitweten Maria Dmitrijewna Isajewa in Kusnezk.

Schwere epileptische Krisen.

Aus gesundheitlichen Gründen beantragt Dostojewski seine Entlassung aus der Armee und eine Aufenthaltsbewilligung für Moskau.

Veröffentlichung von Ein kleiner Held (geschrieben 1849).

1858

  • Dezember: Der Zar erlaubt dem Ehepaar Dostojewskij auf sein Gesuch hin die Rückkehr ins europäische Russland. Dostojewskij hat sich inzwischen vom atheistischen Sozialisten zum gläubigen Christen gewandelt, was später für die Läuterungsthematik des Romans Schuld und Sühne (1866) bestimmend wird.

1859

  • Juli: Dostojewski scheidet als Unteroffizier aus dem Militärdienst aus.

Dostojewski siedelt sich mit seiner Familie zuerst in Twer (heute Kalinin) an.

Rückkehr nach St. Petersburg, wo er bis zu sseinem Lebensende fast durchgehend unter geheimpolizeilicher Aufsicht steht.

Veröffentlichung der in Sibirien verfassten Erzählung Onkelchens Traum, ein Werk von "wahrhaft taubengleicher Sanftmut" (Dostojewski), das deutlich die Furcht des ehemaligen Häftlings vor Repressionen und Zensurmassnahmen widerspiegelt.

Veröffentlichung des Zeitschriftenromans Das Dorf Stepantschikowo und seine Bewohner.

1860

Zusammenarbeit mit Nikolai Strachow und Apollon Grigorjew.

Werkausgabe in zwei Bänden.

Beginn des Erscheinens der Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860-1862). Die Aufzeichnungen nehmen direkt auf Dostojewskis Aufenthalt im Arbeitslager Omsk Bezug. Autobiographische Wahrheit und Dichtung vermischen sich hier zu einem unentwirrbaren Geflecht. Der Text ist weniger als sozialkritisches Dokument der unmenschlichen Haftbedingungen im zaristischen Russland zu lesen, sondern als eine Darstellung menschlicher Grenzsituationen, für die die sadistische und unwirtliche Hölle Sibiriens nur mehr eine eindringliche Metapher ist. Das von antisemitischen Ressentiments geprägte Buch wird ein grosser Erfolg: selbst die Dostojewski-Skeptiker Turgenjew und Tolstoj lobten es überschwänglich. Spätere Darstellungen von russischen Straflagern (wie Aleksandr Solschenizyns Der Archipel GULAG, 1973-1975) wurden von ihm stark geprägt. Mit ihrem zum existentiellen Modell geformten Sujet beeinflussten die Aufzeichnungen später zahlreiche Werke der modernen Literatur, darunter Franz Kafkas In der Strafkolonie (1914).

1861

  • Januar: Michail und Fjodor gründen die Zeitschrift Wremja (dt. "Zeit").

Bekanntschaft mit Apollinaria "Polina" Suslowa, welche eigene Beiträge an die Zeitschrift Wremja einsendet und eine typische Vertreterin der Frauenemanzpation der 180er Jahre ist. Dostojewski verfällt ihr bald ganz.

Dostojewski versucht seinen literarischen Ruf wieder zu festigen. Bekanntschaft mit Iwan Gontscharow, Tschernischewski, Dobroljubow, Alexander Ostrowski, Michail Saltykov-Schtschedrin.

Veröffentlichung des melodramatisch-sozialkritzschen Romans Die Erniedrigten und die Beleidigten in der Zeitschrift Wremja. Das Werk greift zahlreiche Momente des Frühwerks - Entwurzelung, Wahnsinn, Krankheit usw. - wieder auf. Gleichzeitig weist es durch seine differenziertepsychologische Erzählstrategie bereits auf die späten philosophischen Romane hin. Einmal mehr dient Sankt Petersburg dem Panslawisten Dostojewskij als Mikrokosmos, um den Zusammenhang von Elend, Verbrechen und westeuropäischer Dekadenz aufzuzeigen. Die Figuren wandeln hilflos "in den dunklen, verschwiegenen Winkeln der grossen Stadt" herum. Die "unerträgliche Hölle" der Sinnlosigkeit und Unmoral wird offenbar.

1862

Der zweite Teil von Aufzeichnungen aus einem Totenhaus und Eine dumme Geschichte werden in der Zeitschrift Wremja veröffentlicht.

  • Juni - September: Dostojewski macht seine erste Auslandreise und besucht mehrere westeuropäische Länder: Er reist über Berlin, Dresden und Köln nach Paris, besucht von dort aus die Weltausstellung in London, kehrt nach Paris zurück und reist von dort nach Genf, wo er sich mit Nikolai Strachow trifft. Dann reist er weiter nach Florenz und über Wien schliesslich zurück nach Russland.

Zusammentreffen mit Alexander Herzen.

1863

Veröffentlichung des Essays Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke in der Zeitschrift Wremja. Darin berichtet Dostojewskij von der langersehnten Auslandreise, die er im Jahr zuvor durch Westeuropa unternommen hat. Im Mittelpunkt steht die materialistische Seelenlosigkeit der "bourgeoisen" Kultur Westeuropas. Eigentliches Thema ist also nicht Westeuropa, sondern der dort vorkommende Spiesser, der sich sowohl als "Kapitalist" wie auch als "Sozialist" zu erkennen gibt. Als Ausweg wird eine Rückbesinnung auf urrussische Werte im Sinn des Panslawismus eingeklagt.

  • April: Verbot der Zeitschrift Vrémja wegen eines "antipatriotischen" Artikels von Nikolai Strachow.
  • August - Ende Oktober: Zweite Europareise. Dostojewski will nach Paris, um sich dort mit Polina Suslowa zu treffen. Er unterbricht seine Reise in Wiesbaden, wo er sein Glück beim Roulette versucht und in der Folge einer langjährigen Spielleidenschaft verfällt. Von den gewonnenen 10'000 Francs hat er schon am nächsten Morgen nichts mehr, gewinnt am Abend aber erneut 3'000 Francs, mit denen er nach Paris eilt.

Weitere Spielabenteuer in Baden-Baden, wo Dostojewskij seine gesamte Barschaft am Roulettetisch verliert. Ohne Geld flieht er mit Polina Suslowa nach Genf und dann nach Turin. Das wenige Geld, das er aus Russland geschickt bekommt, verspielt er sofort wieder. Die beiden haben weitere Geldschwierigkeiten in Rom, von wo sie über Neapel und Genua nach Turin zurückkehren. Polina verlässt ihn hier sofort und kehrt nach Paris zurück.

  • Ende Jahr: Dostojewskij reist weiter nach Bad Homburg, wo er weiterhin spielt und verliert. Zerknirscht reist er schliesslich nach St. Petersburg zurück und eilt zu seiner schwindsüchtigen Frau Maria Dmitrijewna, um sie von Wladimir ins trockenere und gesündere Klima von Moskau zu bringen. Den ganzen folgenden Winter verbringt er an ihrem Bett, obwohl er selbst unter häufigen epileptischen Anfällen und einer schmerzlichen Blasenerkrankung zu leiden hat. Hinzu kommt die Armut und das skandalöse Benehmen seines Stiefsohns Pascha, der in St. Petersburg zurückgeblieben ist. In diesen Wochen schreibt Dostojewski seine Aufzeichnungen aus dem Kellerloch.

1864

  • März: Herausgabe der ersten Nummer der von Michail und Fjodor Dostojewski als Nachfolgerin der verbotenen Wremja herausgegebenen Zeitschrift Epocha. Die Tendenz der Zeitschrift ist weniger liberal, sodass die Abonnenten ab-, die Schulden dagegen zunehmen. Immerhin ist in der ersten Nummer Turgenjews Erzählung "Gespenster" zu finden.

In der Zeitschrift Epocha erscheinen auch Dostojewskijs i>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Das Werk ist offensichtlich ein Angriff auf Tschernyschévskijs höchst populären optimistischen Roman Was tun? (gedruckt in Sovreménnik, 1863) und auf die Modephilosophie des "aufgeklärten Eigennutzes". Der entwurzelte Ich-Erzähler sucht darin gegenüb er seiner rationalisierten Aussenwelt (symboliert im Kristallpalast der Londoner Weltausstellung) trotz aller Entfremdung eine subjektive, unsinnig-paradoxe Grundhaltung zu bewahren. Dieser starrköpfige Heroismus wird später vielen Figuren Dostojewskijs - etwa Stawrogin in den Dämonen und Iwan in den Brüdern Karamasow - eigen sein.

  • 16. April: Tod von Dostojewskijs Frau Maria Dmitrijewna.
  • 10. Juni: Tod von Dostojewskijs älterem Bruder Michail. Er hinterlässt eine Witwe (Emilia) mit vier Kindern und eine Geliebte mit einem unehelichen Kind - alle sind ohne Mittel. Dostojewski sieht es als seine moralische Pflicht, für sie alle zu sorgen.
  • Herbst: Polina Suslowa lehnt mehrere Heiratsangebote von seiten Dostojewskis ab. Dieser macht sicherheitshalber gleichzeitig einigen anderen Frauen den Hof, darunter auch Anna Korwin Krukowskaja, deren Vater General und reicher Gutsbesitzer in einer abgelegenen Provinz ist.
  • Ende Jahr: Vorübergehendes Verhältnis mit der russischen Abenteurerin Martha Brown.

1865

Veröffentlichung der Groteske Das Krokodil, die mit den damals gängigen Gemeinplätzen der liberalen Presse Russlands spielt und an Gogols Die Nase erinnert.

  • Frühjahr: Die Zeitschrift Epocha stellt ihr Erscheinen ein und beendet damit Dostojewskis fünfjährige journalistische Laufbahn. Dieser übernimmt die 15'000 Rubel Schulden der Zeitschrift.
  • Sommer: Dritte Europareise, hauptsächlich um Polina wiederzusehen. Um das Reisegeld zu beschaffen, verkauft er für 3'000 Rubel die Rechte an einer Ausgabe seiner bisherigen Werke an den wegen seiner Skrupellosigkeit berüchtigten Verleger Stellóvskij. Gemäss Vertrag ist Dostojewskij verpflichtet, diese Ausgabe bis spätestens 1. November 1866 durch einen neuen Roman zu ergänzen.
  • Mitte August: Dostojewskij entkommt mit dünner Brieftasche nach Deutschland, wo er die aus Paris gekommene Polína trifft. Gemeinsam wohnen sie im Hotel Victoria in Wiesbaden. Im Vertrauen auf sein "System" überlässt sich Dostojewskij erneut der Spielleidenschaft und verliert so alles mitgebrachte Geld. Er bittet Alexander Herzen, der sich in Genf aufhält, erfolglos um 150 Taler. Den in Baden-Baden weilenden Turgénev bittet er um 100 Taler, erhält aber nur 50, die Polína sogleich an sich nimmt und nach Paris abreist. Nachdem er von der Hotelleitung kein Essen, nur noch Tee erhält, erhält er schliesslich einiges Geld von seinem sibirischen freund General Wrangel, der inzwischen russischer Gesandschaftssekretär in Kopenhagen geworden ist. Nachdem ihm auch der Priester der Wiesbadener russischen Kirche noch ausgeholfen hat, reist Dostojewskij nach Kopenhagen. Hier weilt er einige Tage bei Wrangel und reist dann per Schiff nach St. Petersburg zurück. 300 Rubel, die Kátkov als Vorschuss für den geplanten Roman Schuld und Sühne nach Wiesbaden geschickt hat, kommen zu spät an und werden vom russischen Priester nach St. Petersburg weitergeleitet.

Veröffentlichung von Eine dumme Geschichte.

1866

Schuld und Sühne (eine bessere Übersetzung des Originaltitels wäre Übertretung und Zurechtweisung) wird dem Verleger abgeliefert und erscheint fortsetzungsweise in der Zeitschrift Rússkij véstnik. Im Mittelpunkt des Romans steht mit dem verarmten Petersburger Studenten Raskolnikow (von russisch raskol: Abspaltung) ein vom Volk losgelöster Held. D adurch, dass Raskolnikow den von ihm begangenen Mord an einer Pfandleiherin (der "Laus") und ihrer Schwester letztendlich als Versuch deklariert, sich über die moralischen Grundsätze der Allgemeinheit hinwegzusetzen und damit zum Übermenschen (zum "Napoleon") zu werden, wird das kriminalistische Element des Buches auf eine philosophische Ebene gehoben. Statt Genugtuung aber stellt sich bei Raskolnikow nur das Gefühl völliger Vereinsamung ein. Erst durch ein Geständnis und die aufopfernde Liebe der engelsgleichen Prostituierten Sonja gelingt dem philosophischen Verbrecher die Läuterung. Die Abkehr vom materia listischen Denken seiner Vorzeit lässt Raskolnikow im sibirischen Gefangenenlager zu neuem Leben auferstehen.

  • Sommer: Dostojewskij verbringt den ganzen Sommer auf dem Land unweit Moskau, ohne auch nur eine Zeile des versprochenen Romans geschrieben zu haben.
  • Anfang Oktober: Dostojewskij kehrt nach Petersburg zurück und diktiert der jungen Stenographin Anna Grigórjevna Snítkina innert 26 Tagen den kurzen Roman Der Spieler.
  • 1. November: Der Roman Der Spieler wird termingerecht dem Verleger abgeliefert.

1867

  • 15. Februar: Dostojewskij heiratet Anna Grigórjevna Snítkina gegen den heftigen Einspruch seiner Verwandten.

Veröffentlichung des Romans Der Spieler. Darin porträtiert Dostojewskij nicht zuletzt seine eigene Sucht. Darüber hinaus jedoch thematisiert das Buch in der Hassliebe des Protagonisten zu einer Generalstochter einmal mehr die zwischen Zwang und Freiheit schwankende Persönlichkeit eines verzweifelten Ichs. Deutlich ist auch diese Figur geprägt von jener "Leidenschaft zur Qual", die die Psychologie der Antihelden aus Dostojewskijs letzten grossen philosophischen Romanen bestimmt.

  • 5. März: Geburt der Tochter Sónja.
  • Mitte April: Das Ehepaar Dostojewskij verlässt Russland, u. a. um seinen Gläubigern zu entgehen (sie hatten ihm mit Schuldgefängnis gedroht), und bleibt vier Jahre im Ausland. Sie leben zuerst in Genf, dann in Florenz, Wien, Prag und schliesslich in Dresden. Weitere Aufenthalte in Berlin, Bad Homburg und Baden-Baden.
  • 24. Mai: Tod der Tochter Sónja.

1868

Aufenthalt in Florenz.

Veröffentlichung des Fortsetzungsromans Der Idiot (1868-1869). Dieser Roman und Die Dämonen (1871-1872) machen Dostojewskij weltberühmt. Die Figur im Zentrum des Geschehens trägt von Beginn an christusähnliche Züge. In Notizen hat Dostojewskij sie selbst einen "im positiven Sinne schönen Menschen" genannt. Schönheit und Sittlichkeit sind hier synonym gedacht. Als Idiot erscheint der Epileptiker Fürst Myschkin nur einer unverständigen Umgebung. Tatsächlich weist seine Epilepsie auf Dostojewskijs Ideal eines religiösen Mystizismus hin. Durch sein Erleben einer höheren Realität fällt Myschkin aus der Summe der negativen Helden Dostojewskijs ganz heraus. Ästhetisch interessant ist Myschkin aber vor allem durch seine romankonstituierende Funktion: Trotz seiner sozialen Isolation sind alle Erzählstränge auf ihn bezogen, und alle Figuren wenden sich ihm zu. Die Aura Fürst Myschkins gewährt dem Roman seine Einheit.

1869

Reise von Florenz nach Dresden.

  • 26. September: Geburt der Tochter Ljubóv.

1870

Veröffentlichung der Novelle Der ewige Gatte.

1871

Veröffentlichung des Fortsetzungsromans Die Dämonen (1871-1872). Darin greift Dostojewskij das zentralistische Modell von Der Idiot wieder auf. Wie um eine Sonne gruppieren sich in der Welt des Romans mehrere Revolutionäre um den Anarchisten Stawrogin, dessen nihilistischer Egalismus ("Alles ist allem gleich") wiederum im Mord kulminiert. Das an einem vermeintlichen Verräter begangene Verbrechen gibt der Gruppierung Sinn und Zusammenhalt. Zur Konzeption der Dämonen liess sich Dostojewskij von Presseberichten über den Mord an dem Studenten Iwanow im Park der Landwirtschaftlichen Moskauer Akademie inspirieren. Doch überhöht er auch hier das Geschehen im philosophischen Sinne: Alle Revolutionäre sind besessen von atheistisch-zerstörerischen Idealen. Im Roman stellt Dostojewskij ihnen das Credo der Nebenfigur Schatows entgegen: "Ich glaube an Russland, ich glaube an die Orthodoxie ... Ich glaube, dass Christi Wiederkunft in Russland stattfinden wird." So wird die Figur zum Sprachrohr ihres Autors. Demgegenüber beichtet Stawrogin: "Ich glaube an den Teufel."

  • Juli: Das Ehepaar Dostojewskij kehrt nach St. Petersburg zurück.

Geburt des Sohnes Fjodor. Besserung der wirtschaftlichen Lage.

1873

  • Anfang Jahr: Dostojewskij wird Schriftleiter der konservativen Zeitschrift Grashdanín [?dt. Bürger] (bis Mitte 1874) und mietet ein Haus in Stáraja Rússa. Als regelmässige Kolumne erscheint darin Dostojewskijs Tagebuch eines Schriftstellers (darin u. a. Bobók) (1873-1881), in dem er ein Forum für seine teilweise regressistische politisch-religiöse Ideologie findet. Neben autobiographischen und poetologischen Bemerkungen erscheinen im Tagebuch auch mehrere Prosatexte, darunter Bobok (1873).

Freundschaft mit Vladímir Solovjóv. Annäherung an die Slawophilen.

1874

Dostojewskij wird erneut verhaftet und gefangen gesetzt, dieses Mal wegen Verletzung der Zensurvorschriften.

1875

Reise nach Bad Ems zur Behandlung seines Emphysems.

10. August: Geburt des Sohnes Aljóscha.

Veröffentlichung des Romans Der Jüngling.

1876

Dostojewskij wird Alleinherausgeber der neuen Monatsschrift Dnevik pisatelja (1876-1877).

In Dostojewskijs Tagebuch eines Schriftstellers erscheint die wegen ihrer stenographischen Genauigkeit als "phantastisch" bezeichnete Erzählung Die Sanfte.

1877

Reise nach Darovóje.

In Dostojewskijs Tagebuch eines Schriftstellers erscheint die Novelle Der Traum eines lächerlichen Menschen.

1878

Aufnahme Dostojewskijs in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften als korrespondierendes Mitglied.

  • 16. Mai: Tod des Sohnes Aljóscha.

1879

Veröffentlichung von Dostojewskijs letztem Roman Die Brüder Karamázow (1879-1880), der gleichsam eine Quintessenz seines Gesamtwerks darstellt. Auch hier ersetzt ein komplexes Netz von Handlungen und Intrigen die stringente Handlung. Auf der untersten Ebene ist das Buch als Kriminalgeschichte eines Vatermordes lesbar. Seine intellektuelle Spannung bezieht es jedoch aus der Konfrontation der Brüder Karamasow, die jeweils verschiedene weltanschauliche Positionen vertreten: Die Intellektualität des Skeptikers Iwan wird im Roman gegen die Emotionalität Dmitrijs und die Frömmigkeit Aljoschas ausgespielt. Alle drei Typen aber illustrieren gemeinsam einmal mehr Dostojewskijs Figurenkonzeption unter dem Aspekt der selbstzerstörerischen Qual (nadryw) des Individuums. In ihnen sind die existentiellen Antinomien Dostojewskijs (Machthunger versus Unterwerfung, Freiheit versus Zwang, Sünde versus Ethik, Körper versus Seele) neuerlich umrissen.

Dostojewskijs Frau Anna eröffnet einen Buchversandhandel.

1880

  • 8. Juni: In Moskau hält Dostojewskij anlässlich der Enthüllung des Púschkin-Denkmals seine berühmte Rede über den grossen russischen Dichter und wird dafür enthusiastisch gefeiert. Höhepunkt von Dostojewskijs Ruhm.

1881

In Dostojewskijs Tagebuch eines Schriftstellers erscheint seine 1880 gehaltene Púschkin-Rede.

  • 28. Januar: Fjodor Dostojewskij stirbt in St. Petersburg im Alter von 55 Jahren an einer Lungenentzündung.
  • 1. Februar: Dostojewskij wird auf dem Friedhof des Alexander Névskij-Klosters in St. Petersburg beigesetzt.

1882

Die in Deutschland unter dem Titel Raskolnikow erschienene Übersetzung von Schuld und Sühne wird begeistert aufgenommen. Vor allem die realistische Schilderung menschlicher Pathologien und die philosophische Stilisierung der Figuren zu Ideenträgern prägen die Schriftstellergenerationen von Naturalismus und Expressionismus nachhaltig.

Einer der grössten und frühesten Bewunderer der Aufzeichnungen aus dem Kellerloch ist Friedrich Nietzsche ("ein wahrer Geniestreich der Psychologie"), der in der Erzählung die eigene Konzeption einer philosophischen "Umwertung aller Werte" vorweggenommen sieht. Ansonsten bespiegelt gerade Nietzsches Urteil Dostojewskijs unaufhörliches Schwanken zwischen Traditionalismus und Modernität: Der Russe sei, so Nietzsche, ein "grandioser Psychologe - und ein erbärmlicher Christenmensch."

1929

Der russische Literaturwissenschaftler Michail Michajlowitsch Bachtin (1895-1975) weist in seiner epochalen Studie Probleme der Poetik Dostojewskijs auf das dessen neue Erzählverfahren hin und hebt die Polyphonie (Mehrstimmigkeit) der Romanstruktur hervor. Bachtin zufolge treten die Figuren als Vertreter philosophischer Ideen auf, die Dostojewskij ohne Erzählerkommentar nebeneinander stehen lässt. Antithetische Positionen werden zumeist in Rededuellen (wie etwa zwischen Iwan und Aljoscha in Die Brüder Karamasow) dargelegt. Wie Bachtin nachweisen kann, findet dieses dialogische Prinzip bei Dostojewskij selbst in den Monologen der Figuren Anwendung: In den Aufzeichnungen aus einem Kellerloch etwa reagiert der Protagonist in seinen Reflexionen auf die Präsenz eines imaginären (Lese-)Publikums, indem er dessen Einwände in direkter Anrede ("Sie denken bestimmt", "oder denken Sie vielleicht") selbst vorwegnimmt.

1940er Jahre

Auch die Autoren des Existentialismus und Surrealismus stehen unter Dostojewskijs Einfluss: So behauptet etwa Jean-Paul Sartre, durch die Lektüre Dostojewskijs erst zu seinen Schriften angeregt worden zu sein. Deutlich ist vor allem in Sartres Einakter Bei geschlossenen Türen (1944) die Grundidee der Aufzeichnungen aus dem Kellerloch (die Aussenwelt als Hindernis der eigenen Selbstverwirklichung) erkennbar.

Wladimir Nabokov spricht Dostojewskij später seiner quasi dramatischen Darstellungsweise wegen jegliches Talent als Prosaautor ab (besser hätte er gemäss Nabokov Theaterstücke verfasst), trotzdem hat dessen Romanwerk doch gerade durch diese beiden innovativen Aspekte (Psychologie und Polyphonie) einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die Literatur der Moderne ausgeübt.