Epikur/Biografie

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Die Überlieferung von Epikurs Lebenslauf ist mit Lücken und Unsicherheiten behaftet, die sich vor allem daraus ergeben, dass sein wichtigster Biograph, Diogenes Laertios, erst aus dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammt.

341 v. U. Z.

Epikur wird im Winter 342/341 v. u. Z. am 20. Tag des Monats Gamelion als Sohn des Atheners Neokles geboren, der seit etwa 352 v. u. Z. als Kolonist (Kleruch) auf der Insel Samos ansässig ist und als Elementarlehrer und Landwirt so wenig verdient, dass seine Frau Chaerestrate von Haus zu Haus ziehen und mit dem Hersagen mystischer Sprüche zur Vertreibung böser Geister ein Zugeld verdienen muss.

327 v. u. Z.

Als 14-Jähriger findet Epikur zur Philosophie. Ursächlich für seine Studienanfänge sind Zweifel über die Beschaffenheit des Chaos, jenen "gähnenden Abgrund", von dem nach Hesiod alle Dinge abgeleitet sind. Seine Lehrer können ihm nicht befriedigend erklären, was denn vor dem Chaos gewesen war, wenn aus dem Chaos alles entstanden sein soll, wie es damals geglaubt wird.

Der Platoniker Pamphiles und der Demokriteer Nausiphanes sind seine ersten Lehrer. Pamphiles macht jedoch keinen guten Eindruck auf Epikur, da er sich vor allem durch rhetorische Prahlerei hervortut, die Epikur der Rhetorik insgesamt entfremdet. Nachhaltiger sieht er sich auf den Atomismus des Demokrit verwiesen, den er sich zu eigen macht. Später sagt er allerdings, das, was er sei, sei er durch sich selbst geworden.

323 v. u. Z.

Al 18-jähriger kommt Epikur nach Athen um seine Dienstpflicht als Ephebe im Gymnasium abzuleisten. Dabei handelt es sich um eine zweijährige vormilitärische Ausbildung, die durch die Mündigkeitserklärung und Aufnahme in die Bürgerliste ihren Abschluss findet. Die "theologische Luft", die in der platonischen Akademie weht, wird durch Xenokrates verkörpert, in dem die mystisch-religiösen Neigungen des greisen Platon noch verstärkt auftreten; eine mystische Zahlenlehre, die alles auf die Drei bezieht, eine mystische Götterlehre mit einer männlichen und einer weiblichen Gottheit und zahlreichen Dämonen, eine mystisch-asketische Sittenlehre, der die Befreiung des Geistes aus den Banden der Sinnlichkeit als Hauptsache gelten, sind die Hauptlehren seiner Philosophie.

Epikur soll gerade seine Zeit als Ephebe abgeleistet haben (was von seinem Alter her nicht möglich ist), als 323 v. u. Z. Alexander der Grosse in Babylon stirbt und die Athener sich sogleich gegen die makedonische Vorherrschaft auflehnen. Sie erleiden jedoch eine schwere Niederlage, in deren Folge auch Epikurs Vater Neokles als athenischer Kolonist seinen Besitz auf Samos an die makedonischen Besatzer unter Perdikkas verliert. Neokles flieht nach Kolophon bei Ephesos ins Exil, wohin Epikur seinem Vater bald nachfolgt. Als 319 v. u. Z. Samos an Athen zurückgegeben wird, erhält Neokles eine finanzielle Entschädigung für den Verlust seines Grundstücks.

Über die nächsten Jahre von Epikurs Leben fehlt jegliche Kunde.

310/309 v. u. Z.

Epikur erscheint als Lehrer der Philosophie zuerst in Mytilene auf Lesbos und später in Lampsakos am Hellespont, wo er einige Jahre wirkt und mit Metrodoros von Lampsakos, dessen Bruder Timokrates, Idomeneus, Leonteus und dessen Frau Themista, Koloties und Polyainos seine treuesten Jünger gewinnt.

306 v. u. Z.

Epikur zieht nach Athen, wo nach dem Sturz des Demetrios von Phaleron die Attische Demokratie wieder aufzuleben scheint. Dort erwirbt er für 80 Minen jenen Garten (Kepos), in dem er seine eigene Schule gründet, etwa zur selben Zeit, als Zenon aus Zypern die Philosophenschule der Stoa gründet. Und wie diese Schule ihren Namen von der Säulenhalle (Stoa poikile) bekam, in der die Unterweisungen Zenons stattfanden, so erhält Epikurs Schule ihren Namen von dem Garten, den er in Athen erworben hatte, und seine Jünger werden "Die aus dem Garten" genannt. Hier wie auch in der Akademie und im "Peripatos" wird der Geburtstag des Gründers festlich begangen; dies stets in engem Zusammenhang mit einem Apoll und den Musen geweihten Fest.

Der Kepos dient seinen aus Menschen aller Gesellschaftsschichten stammenden Anhängern als Versammlungsort, und Epikur lebt dort mit seinen Schülern (anfänglich sollen es 200 gewesen sein), die teilweise von weither zu ihm kommen, nach Art einer "Kommune" oder eines weltlichen Klosters ohne persönlichen Besitz. Im scharfen Gegensatz zu den herrschenden Sitten nimmt er auch Ehepaare, Frauen (Hetären) und Sklaven als Schüler bei seinen Symposien auf.

Behauptungen über Schwelgereien und sonstige Exzesse der Epikureer stammen nicht aus glaubwürdigen Quellen, zumindest soweit es um Angehörige der Schule geht. Sie stehen im Widerspruch zur Lehre Epikurs, der seine Gäste am Eingang des Gartens mit folgender Inschrift begrüsst: "Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt." Die sinnlichen Begierden, deren Berechtigung nur eingeschränkt akzeptiert wird, sollen sich auf die kleinen, leicht erreichbaren Freuden richten.

Epikurs Philosophie knüpft an eine vorsokratische und vorplatonische Stufe der griechischen Philosophie an. Von Demokrit beispielsweise überimmt er nicht nur die Atomlehre sondern auch die Wahrnehmungslehre (alle Wahrnehmung geschieht, weil sich unablässig Bildchen vom Wahrnehmbaren ablösen). Er behauptet, das Sein sei in den Dingen - nicht transzendent hinter oder über ihnen - es stehe nicht in Gegensatz, sondern in Beziehung zum Werden. Er leugnet damit jede Absolutheit. Keineswegs kann - etwa mit Platon - dem Sein oder irgendeinem Seienden absolute Geltung zugeschrieben werden. Sind Wesen wie die Götter jeder Veränderlichkeit entrückt, dann können sie auch nicht Ursache sein; sie erreichen diese Welt nicht und sind von ihr aus unerreichbar. Ebensowenig kann dem Menschen eine absolut gültige Aufgabe gestellt werden, denn keiner der Werte hat absolute Geltung. Vielmehr haben Erkenntnis der Naturzusammenhänge ihren (relativen) Wert darin, dass sie den Menschen frei von Schmerz und Unruhe machen sollen. Diese Forderung nach Befreiung, ja Erlösung verleiht der Philosophie Epikurs den Charakter einer Heilsbotschaft.

Epikur scheidet sorgsam das statische (katastematische) Bewusstsein ungetrübter Ruhe von den transitorischen Hochstimmungen. So ist Epikurs Lehre die "Philosophie der (richtig verstandenen) Freude" zur Philosophie des intensiv gelebten Lebens geworden. Der Mensch soll sich nicht in Lebensbereiche hineinziehen lassen, die mit Sicherheit unruhevollen Störungen ausgesetzt sind - darum hält sich der Epikureer von der Politik fern und übt kein öffentliches Amt aus. Umso mehr wird das Wirken im Kreise Gleichgesinnter empfohlen und somit ist der Freundeskreis der eigentliche Ort für die epikureische Lebensführung.

Rund 35 Jahre bleibt Epikur der geistige Mittelpunkt des "Gartens", dem auch Frauen angehören. Die Schule muss allerdings schwer um ihre äussere Existenz ringen, anders als die reich fundierte Akadamie und der "Peripatos"; eine ärmliche Gesellschaft bleibt es immer und zu einem Epikureertum im Sinne eines üppigen und schwelgerischen Lebens, wie dieses Philosophenleben auch heute noch vielfach gedeutet wird, reichen die Mittel nie. Wie berichtet wird, hat der "Garten" auf's wohlfeilste und einfachste gelebt; sie waren mit einem kleinen Becher Wein, ja mit Wasser und Brot zufrieden und dabei vergnügt", und aus einem Briefe Epikurs ist die Stelle erhalten: "Schicke mir etwas Käse, damit ich einmal lecker essen kann, wenn mich die Lust dazu ankommt." Der Gemeinschaft kommt es nicht auf Erkenntnisgewinn als absoluten Wert an, sondern auf Bewährung der gewonnenen Erkenntnis im Zusammenleben. So hält man enge und herzliche Verbindung zu den Gruppen Gleichgesinnter auf den Inseln und in Kleinasien, die Epikur zwei- oder dreimal aufsucht. Recht streng aber sondert man sich von der unbelehrten und unbelehrbaren Menge ab, wodurch Epikurs Schule etwas sektenhaftes bekommt.

271/270 v. u. Z.

Epikur stirbt nach langem, schmerzhaftem Leiden (vermutlich verursacht durch Nieren- oder Harnsteine). Sein Testament setzt Hermarchos von Mytilene zum Nachfolger und Schulhaupt ein.

Wirkungsgeschichte

Epikurs Schule strebt keinen politischen Einfluss an und findet - von Ausnahmen abgesehen - kaum Zugang zu den Reichen und Mächtigen. dennoch lebt der Epikureismus über den Hellenismus hinaus auch im Römischen Reich weiter. Lukrez (etwa 97-55 v. u. Z.) hat in einer der grossen Dichtungen der Antike, seinem Lehrgedicht "Von der Natur der Dinge", den Epikureismus in anschaulicher und bilderreicher Sprache dargestellt und popularisiert und Epikur selbst gar vergöttlicht:

"Sollen wir reden, so wie es die Grösse seiner Entdeckung fordert, so gilt es zu rufen: Ein Gott, tatsächlich, berühmter Memmius, war es, ein Gott, der den Sinn des Lebens als erster aufspürte, jene von uns gepriesene Weisheit, methodisch gründlich das Leben aus wütenden Stürmen in ruhige Bahnen, aus dem entsetzlichen Dunkel in strahlende Helligkeit lenkte!"

Auch der Dichter Horaz (65 v. u. Z. - 8 u. Z.) vertritt den Epikureismus. Soweit in der römischen Antike atheistische Positionen vertreten werden, beziehen sie sich meist auf Epikur, der selbst allerdings kein Atheist war. Jedenfalls hält sich der Kepos, zuletzt noch von dem Stoiker Mark Aurel gefördert, bis über das zweite Jahrhundert u. Z. hinaus.

Epikur, den spätere Gegner seiner Philosophie als "das grosse Schwein" bezeichneten, stiess mit seiner persönlichen Lebensführung weder bei den Zeitgenossen noch bei denen, die sich biographisch mit ihm befassten auf Kritik. Umso verhasster wird seine Lehre mit dem Erstarken des Christentums, da er jegliches göttliche Eingreifen in den Lauf der Welt, jede Furcht vor göttlicher Strafe und jede Hoffnung auf göttlichen Lohn zum Aberglauben erklärt hatte. Die Philosophie Epikurs wird daher von christlicher Seite erbittert verfolgt und schliesslich völlig unterdrückt.

Bald wird seine Lehre vergröbert und verfälscht. Das und zahlreiche unzutreffende Unterstellungen seiner Gegner führen dazu, dass Epikur bis in die Neuzeit verpönt war. Während des Mittelalters gilt er lange Zeit als der Widersacher des Christentums schlechthin. Noch Dante Alighieri lässt Epikur in seiner Göttlichen Komödie (1307–1321) als "Erzketzer" im 6. Kreis der Hölle in einem weissglühenden Eisensarg brennen.

Der epikureische Hedonismus wird im 15. Jahrhundert von Lorenzo Valla (Vom wahren und falschen Guten) und seine Naturphilosophie ab Ende des 16. Jahrhunderts etwa von Giordano Bruno (z. B. Vom Unendlichen, dem Universum und den Welten), Pierre Gassendi, Robert Boyle, Christian Huygens, Isaac Newton, John Dalton und anderen aufgegriffen. Ebenfalls mit der Physik Epikurs befassen sich Karl Marx in seiner 1841 erschienenen Dissertation sowie Ende des 19. Jahrhunderts Friedrich Nietzsche.

Die epikureische Ethik und Gesellschaftstheorie übte einen beträchtlichen Einfluss auf das philosophische Denken der Neuzeit aus. Bei Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf und anderen wird die epikureische Lehre vom Gesellschaftsvertrag zur Grundlage der gesamten modernen Staatstheorie. Denn bei Epikur findet sich nach Karl Marx' zutreffender Feststellung "zuerst die Vorstellung [...], dass der Staat auf einem gegenseitigen Vertrage der Menschen, einem contract social [...] beruhe". Ein Vertrag allerdings, den nie jemand unterzeichnet hat.

Heute ist die Forschung zumindest bemüht, das Zerrbild Epikurs und seiner Lehre vom historischen Epikur zu trennen.